: Der gefesselte Gulliver
von PATRIK SCHWARZ
Mit Kanzlerkandidaten hat Michael Spreng eigentlich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Helmut Kohl hat ihn persönlich über den Wolfgangsee gerudert, Ende der 70er-Jahre. Gerhard Schröder hat ihn zu seiner Hochzeit mit Doris Köpf eingeladen. „Wenn Politiker dann Kanzler werden, erwarten sie, dass man ihre Arbeit freundschaftlich begleitet“, beschreibt Spreng, „aber was ein Journalist einem Politiker antun muss, kollidiert mit dem Begriff Freundschaft.“
Jetzt hat Michael Spreng sich so eng wie nur möglich an einen Kanzlerkandidaten gebunden. Seit dem 1. Februar ist es seine Aufgabe, Edmund Stoiber zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu machen, als Leiter des „Stoiber-Teams“. Er macht den Job gerne, er macht ihn professionell, und er macht ihn mit dem ganzen Einsatz seiner 1,98 Meter Körpergröße: Treten Stoiber und Spreng gemeinsam auf, dann wirkt der Berater mit der riesenhaften Figur zugleich wie des Kandidaten bester Bodyguard.
Hinter der Bühne schaut die Lage etwas verworrener aus. Spreng ist der Mann ohne Parteibuch, der externe Medienprofi ohne Gremienerfahrung. Nicht umsonst betont er, dass weder CDU noch CSU ihn geheuert habe, sondern der Kandidat allein. Trotzdem müssen Rücksichten genommen, Eifersüchteleien beachtet, Gremien zufrieden gestellt werden. Das Rivalitätsempfinden in der Union ist umso ausgeprägter, als diesmal ein CSU-Kandidat die große Schwester CDU in den Wahlkampf führt. So hat sich über den Gulliver ein Netz gelegt, das ihn hindert, seine Kräfte zu entfalten.
Udo Röbel gerät ins Schwärmen, wenn er sich an Sprengs Fähigkeiten erinnert. Als Spreng nach Jahren als Politikjournalist bei der Welt und im Bonner Büro der Bild 1983 Chefredakteur des Kölner Express wurde, holte er Röbel als Stellvertreter. Der „Politnik Spreng“ brauchte Röbel als Mann fürs Bunte, für Show und Crime. „Wenn Spreng die Auswahl hatte zwischen einer guten Show- und einer guten Politikschlagzeile, hat er immer die Politikgeschichte genommen“, erzählt Röbel. Als Spreng 1989 die Leitung von Bild am Sonntag übernahm, entdeckte er die Macht der Nachricht. „Er verstand es geschickt wie kaum ein anderer, Nachrichten zu produzieren“, sagt Röbel, der es wissen muss: Er war selbst damals Bild-Chefredakteur.
Ein Höhepunkt Spreng’schen Schaffens kam nach Gerhard Schröders Wahlsieg 1998: Er nötigte dem Kanzler in der Ökosteuerdebatte die Begrenzung auf 6 Pfennig ab. Die Grünen bissen vor Wut in die Tischkante. „Im Grunde muss er bei Stoiber nur dasselbe machen wie zuvor bei Springer“, sagt Röbel. „Spreng ist einer der ganz wenigen, die wissen: Ist Zuwanderung noch ein Thema oder gibt’s schon das nächste? Insofern ist er für die Regierung gefährlich.“
Udo Röbel überschätzt womöglich den Einfluss seines alten Kompagnons. Denn seine größte Stärke darf Spreng im Adenauer-Haus nicht einsetzen: Anders als Matthias Machnig, der Rivale von der SPD, hat der Leiter des Stoiber-Teams nicht die Macht, Themen zu setzen. Bei Sprengs öffentlicher Vorstellung verkündete Stoiber, für diesen Posten sei der 53-Jährige die erste Wahl gewesen. Das trifft nur zur Hälfte zu. Ehe Spreng ein Angebot erhielt, soll der CSU-Chef andere Pläne verfolgt haben: Ein Parteimann sollte als sein Statthalter in Berlin die zwei Unionsparteien im Wahlkampf zusammenführen. In der CDU-Zentrale fürchtete man Bevormundung aus München, so dass der CSU-Chef sich auf eine bescheidenere Lösung verlegte: Der Leiter des Stoiber-Teams befehligt nur acht Leute, die sich ausschließlich um die mediale Vermarktung des Kandidaten kümmern. Politische und strategische Entscheidungen fällen die Goppels, Meyers, Seehofers und Wulffs in diversen Partei- und Ad-hoc-Gremien – wenn sie sich denn einigen.
„Das Risiko ist: Ich bin kein Parteimann“, sagt der einstige Zeitungsmacher unumwunden. Sich bestimmten Abläufen und Regularien zu unterwerfen sei nicht immer ganz einfach. „Journalisten leben ja in einer Zurufgemeinschaft“, so informell gehe es in Parteien nicht unbedingt zu. Andererseits hätte ein Parteipolitiker vielleicht sogar größere Schwierigkeiten in diesem Job. „Ich habe kein politisches Amt und ich will keines haben – demzufolge kann ich auch niemandem etwas wegnehmen.“
Die strikte Zurückhaltung, die er sich bei politischen Aussagen auferlegt, beschert ihm ein anderes Problem: Weil er nicht über Inhalte reden will, redet er meist über sich selbst. Das hat Heinz Eggert, den CDU-Politiker und Moderator der n-tv-Talkshow „Grüner Salon“, schon zu der boshaften Frage veranlasst, wie es komme, dass man seit seiner Berufung immer mehr von Michael Spreng höre und immer weniger von Edmund Stoiber.
Wenn Spreng es mit seiner Arbeit für den Kandidaten nicht leicht hat, so liegt das auch an ihm selbst. Die zwei Kanzler aus Sprengs Vergangenheit werfen bis heute ihre Schatten auf sein Leben. Die Entfremdung von Kohl hat ihn wohl einst seinen Chefredakteurssessel gekostet, seine vorübergehende Nähe zu Schröder zwingt ihn heute ständig zu Rechtfertigungen. Beides verstärkt seine Außenseiterrolle in der Union.
Schon in einem Kommentar zu Kohls Regierungszeiten geißelte Spreng den „Kanzler in den Wolken“ für seine Abgehobenheit. Als der CDU-Ehrenvorsitzende dann über die Spendenaffäre gestürzt war, forderte der BamS-Chef ihn auf, auch noch das Bundestagsmandat zurückzugeben. Zweimal, 1996 und 2000, soll der Kohl-Spezi und Springer-Großaktionär Leo Kirch auf Sprengs Entlassung gedrungen haben, erst vergebens, dann erfolgreich. Dass Kohl selbst den Anstoß gegeben hat, wird von seinen einstigen Getreuen bestritten. „Das war nicht unser Arbeitsstil“, sagt einer, der in solchen Fällen zum Hörer hätte greifen müssen. Die Sicht im Kohl-Lager glich wohl eher der eines Agentenführers, dem irgendwann der Inoffizielle Mitarbeiter von der Fahne geht. „Wir haben einfach aufgegeben, ihn zu einem ausgewogenen Verhalten zu bewegen“, heißt es.
Spreng selbst gibt sich heute lässig im Umgang mit dem Rauswurf bei der BamS: „Ich hatte auch nach elf Jahren noch Erfolg, aber vielleicht war ich da auch schon ein bisschen über das Verfallsdatum hinaus.“ Im Verlag gibt es dagegen eine Vermutung, die Spreng besonders raffiniert aussehen lässt. Hat er selbst das kleine Heldendrama vom Leitartikler, der wegen zu kritischer Meinungen entlassen wird, inszeniert? „Wenn Sie bei Springer absehen können, dass Sie gehen müssen – und Sie sind Chefredakteur –, ist es immer gut, Sie machen eine besonders mutige Schlagzeile“, beschreibt es einer mit Erfahrung auf Springer-Chefposten. „Hinterher können Sie sagen: Daran lag’s.“ War da Spreng, der kein Politiker sein will, vielleicht als Politiker in eigener Sache aktiv? Es wäre eine Eigenschaft, die ihm bei Grabenkämpfen in der Union helfen könnte.
Wenn dem Gulliver mit Büro im Adenauer-Haus etwas anhängt, dann sind es die Gerüchte um eine Freundschaft mit Gerhard Schröder. Was er den Schröders zur Hochzeit schenkte? Weiß er nicht mehr. Blumen vielleicht. Ohnehin sei die Veranstaltung keine intime Runde im Familienkreis gewesen. „Es war die Hochzeit eines Mannes, der demnächst Kanzler werden wollte.“ Dass der Kanzler Chefredakteure schon mal duzte, sei auch nicht neu. „Er tut gerade so, als sei er zum Duzen geprügelt worden“, lästert ein Spreng-Gegenspieler im Regierungslager.
Wahrscheinlich sind die Vorwürfe ungerecht. Denn in seinen Kommentaren bekamen fast alle Politiker ihr Fett weg. Eher schon leidet Michael Spreng unter dem Abschied von der Unabhängigkeit. Als Journalist hat er das Selbstbild vom aufmüpfigen Freigeist gepflegt. Von 1983 bis 2000, siebzehneinhalb Jahre lang, war er Chefredakteur – knapp zwei Jahre länger als Kohl Kanzler. „Chefredakteure sind mit die freiesten Chefs, die es gibt“, schwärmt Spreng und vermittelt ein Bild, als habe er sich immer unabhängig gefühlt von allem, was an einem Chefredakteur zerrt: dem Verlag, der Konkurrenz, der Regierung. „Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich kein Oppositioneller bin“, sagt Spreng über seinen neuen Job, „jetzt bin ich in einer Dienstleisterfunktion.“
Ein bisschen tapfer wirkt er bei solchen Sätzen, als müsse er sich die Vorzüge des Beraterlebens einzeln vor Augen führen, um seine verborgte Freiheit zu verschmerzen. Da nennt er den Kick, ganz nah dabei zu sein, die Chance, Politik mal von innen zu sehen. Was man eben so sagt. Lebhafter wirkt er erst, als er von der Selbstverwirklichung als seinem Antrieb spricht, gar nicht im hedonistischen Sinn, sondern als Erfüllung in einem Leben mit Frau, aber ohne Kind.
So ganz ist der Übergang zum Wahlkampfberater noch nicht gelungen. Wenn er Journalisten meint, spricht er immer noch von „wir“, von CDU und CSU redet er in der dritten Person. Und manchmal glaubt man bei ihm noch eine gewisse Distanz gegenüber seinem neuen Berufsstand zu erkennen. „Ich versuche nicht, meine Beraterkompetenz durch seitenweise Zitate aus amerikanischen Wahlkampfhandbüchern zu belegen“, sagt er dann zum Beispiel. Der Seitenhieb gilt natürlich der SPD-Kampa.
Deren Leiter Matthias Machnig liebt die Fibeln aus Amerika, wo sie für Wahlkampf dasselbe Wort wie für Feldzug verwenden: Campaign. In der CDU-Zentrale haben sie sich auf Sprengs Betreiben gerade vom Titel „Headquarter“ verabschiedet. „Das Militärische ist mir eher fremd“, sagt der Berater, der einst wegen eines Rückenleidens von der Einberufung verschont blieb. „Ich kenne kaum einen Journalisten, der durch Befehl und Gehorsam zur Arbeit zu motivieren ist.“
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