: Die Bilderreise ins Ich
■ Kuba-Ausstellung: Vier KünstlerInnen und die Identität
Identität fängt auf dem Herrenklo an. Zumindest im Kulturbahnhof. „Ich bin ...“ steht in Handschrift auf weißem Papier im Vorraum der Toilette, darauf gepresst die zwei amtlichen Stempel „ungültig“ und „sachlich korrekt“.
Diese Herausforderung zur kurzen Auseinandersetzung mit dem Selbst und zum Überdenken des männlichen Selbstverständnisses von Gernot Wilberg ist Teil der Ausstellung „Ich, Transistor“. Mit der gewährt der Kulturbahnhof Vegesack in Kooperation mit dem Kunstverein Nord den Bremer KünstlerInnen Sylvia Händel, Sarah Reuß, Gernot Wilberg und Marion Tischler aus Osnabrück eine Werkschau zum ausladenden Thema Identität.
Zugegeben weder ein besonders konkretes noch wirklich außergewöhnliches Motto für eine Präsentation zeitgenössischer Kunst. Doch die erfrischende Art, in der die vier mit verschiedensten Ansätzen und Materialien hantieren und dabei zur Selbstreflexion anregen, rechtfertigt das vermeintlich schwammige Leitmotiv.
Sarah Reuß greift inhaltlich am direktesten den Ort der Ausstellung auf. Mit Schiffsrümpfen, zusammengelegt aus geteertem Papier und einem riesigen Bild von Charon, der in der griechischen Mythologie die toten Seelen über den Styx manövrierte, thematisiert sie einerseits konkret die Identität im Stadtteil Vegesack. Darüber hinaus werden die Routen der Schiffe zu Allegorien für unbestimmte menschliche Lebenswege.
In seinen Texttableaus lädt Gernot Wilberg zu einer Entdeckungsreise durch die Fragwürdigkeiten des menschlichen Daseins ein. Seine kleinen gerahmten InkJet-Drucke der Serie „Konkrete Poesie für den Alltag“ etwa entdecken mit augenzwinkernder Ironie Mechanismen, durch die unsere Identität genormt und verformt wird. „Erst wollen sie dich mental ficken und dann sollst du ihren Scheiß auch noch kaufen“, distanziert er sich von der Werbung. „Wo steckt nur mein Image-Berater, die alte versoffene Sau?“, fragt er angesichts erschwerter individueller Persönlichkeitsfindung. Mit dem Satz „Ich bin ein Camel, ich rauche Camel“ hatte Wilberg am „Camel Creative Challenge“ teilgenommen, der junge KünstlerInnen für Zigaretten-Werbungsentwürfe auszeichnete. Natürlich ohne Erfolg, aber Kritik an „unkritischen Künstlern, die sich in einer Art modernen Sklaventums vor einen Karren spannen lassen“, steht im Vordergrund.
Der aus origami-artiger Faltarbeit zusammengesetzte Wandteppich „Multiplicity“, einer von insgesamt 6 Papierobjekten Sylvia Händels, vereint 256 schwarzweiß-kopierte Variationen des Kopfes der antiken Aphrodite-Skulptur von Praxiteles. Durch minimale Manipulationen des Kopiervorgangs wurde der statischen Gesichtsausdruck verzerrt. Über den Kopf, das Zentrum der Persönlichkeit, entfalten sich verschiedene Facetten einer „Patchwork-Identity“.
Lobenswert ist der leichte Zugang, den die Werke ermöglichen, ohne dass die KünstlerInnen in Plattitüden abgleiten. Sie verstehen es, innerhalb der Ausstellung verschiedenste Facetten menschlicher Persönlichkeit zu visualisieren, ohne aber einen überehrgeizigen Anspruch oder Antworten präsentieren zu wollen.
Einzig die „Crossover“-Bilder von Marion Tischler, mit ihren malerischen und graphischen Elementen in bonbon-farbigem Lack und abstrakter Formensprache, scheinen auf den ersten Blick nicht viel mit Identität zu tun zu haben. Optisch hoch präsent verweigern sie jeglichen Transfer einer Botschaft. Unkonkret wie die Bilder Tischlers bleibt trotz allen menschlichen Definitions- und Optimierungsversuchen die nun einmal Identität, weshalb der thematische Bezug ebenso unmittelbar besteht wie beim Rest dieser Ausstellung.
Roland Rödermund
Ich, Transistor“ ist im Kulturbahnhof Vegesack, noch bis zum 24. März zu sehen. Montags bis freitags 10-15 Uhr, samstags und sonntags 14-18 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen