: Der tägliche Dschihad
Dschihad heißt wörtlich „sich anstrengen“ für Gott. Der „kleine Dschihad“ richtet sich gegen andere, der „große“ gegen die eigenen Schwächen. Ein Gespräch mit Ordensbruder Abdullah Rolf Nissen
von SUSAN KAMEL
„Wenn jemand die Fünf Säulen des Islam [Glaubensbekenntnis, fünfmaliges Beten, Fasten, Almosengeben, Pilgerfahrt] einhält, kann er ein guter Mensch sein, aber der Dschihad, der alltägliche Kampf gegen die Triebseele, ist die Voraussetzung, um Gott wirklich nahe zu sein.“ Das sagt der gläubige Muslim Abdullah Rolf Nissen.
Abdullah Rolf Nissen ist ein Ordensbruder der Tariqa Burhaniya, eines Mystikerordens aus dem Sudan. Die islamische Mystik, der Sufismus, entwickelte sich parallel zum „offiziellen Islam“ der Rechtsgelehrten. Sufis versuchen durch Gebet und Gottgedenken, also Meditation, die Erkenntnis zu verfestigen, dass es nur einen Gott gibt (tauhid), und die Gottesliebe (mahabba) zu erlangen. Entgegen den häufig geäußerten Behauptungen, dass der Islam „per se“ eine aggressive Religion sei, verweist Abdullah deswegen auf die friedfertige Seite einer Religion, die heute gerade in Bezug auf religiös legitimierte Kriege von sich reden macht.
Rolf Nissen, der nach seinem Eintritt in den Orden den Namen „Abd-Allah“ – „Knecht Gottes“ – erhielt, wurde 1952 in Flensburg als Sohn deutscher Eltern geboren und kam 1974 zum Studium der Politologie und Geschichte nach Berlin. Als politisch denkender Student folgte er der Marx’schen Ansicht, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. In der festen Überzeugung, dass Gewalt nur Gegengewalt erzeugt, zog sich Abdullah aus dem linken Spektrum jedoch zurück, als die RAF in den bewaffneten Kampf einstieg.
Heute ist er sich sicher, dass ein richtiges Bewusstsein die Voraussetzung ist, um ein erfülltes Leben zu führen. Seit 1981 ist er deswegen Mitglied des sudanesischen Ordens des Scheichs Maulana Ibrahim Muhammad Uthman, der nicht nur in Sudan und Ägypten zahlreiche Anhänger hat, sondern seine Lehre auch in den Rest der Welt exportierte. „Doch der Scheich“, so Abdullah, „betrieb keinen sudanesischen Imperialismus im mystischen Sinne“: Alle Scheichs im Ausland stammen nämlich aus dem jeweiligen Land und können so beide Kulturen miteinander verbinden. Hier in Berlin ist der Bruder Abdullahs, Muhammad Nissen, Scheich, das heißt religiöses Oberhaupt vor Ort.
Abdullah erklärt mir, dass der Begriff „heiliger Krieg“, der oft als Übersetzung von „Dschihad“ verwendet wird und so für die Aggressivität des Islam stünde, laut der islamischen Mystik nur den „kleinen Dschihad“ meint. Schon der bedeutendste islamische Mystiker und Theologe Al-Ghazali unterteilte nämlich im 11. Jahrhundert den Dschihad in einen „großen“ und einen „kleinen“. Der „große Dschihad“ aber ist der tägliche Kampf gegen die eigenen Schwächen. Das im Koran zahlreich auftretende Wort „Dschihad“ bedeutet nämlich wörtlich nur „sich anstrengen“ für Gott. Erst vom politischen Islamismus wurde es zur Legitimation für jeglichen bewaffneten Kampf verwendet, seien es Selbstmordanschläge oder revolutionäre Umstürze.
Abdullah ist der Überzeugung, dass es seit der Zeit des Propheten Mohammed keinen rechtmäßigen „kleinen Dschihad“ mehr gegeben habe. Denn immer seien machtpolitische Interessen der eigentliche Grund gewesen. Die Menschen, die sich heutzutage als Märtyrer in den Dschihad stürzen, so Abdullah, haben von ihrer Religion nicht viel verstanden. Sie würden durch Koranschulen indoktriniert und dumm gehalten.
Das Objekt, das wir uns im Museum für Islamische gemeinsam anschauen, ist eine hölzerne Wandfassade aus der im heutigen Syrien gelegenen Stadt Aleppo. Auf der Fassade – ähnlich wie im Leben Abdallah Rolf Nissens – vereinen sich christliche und islamische Kultur.
Am Beispiel des christlich-orientalischen Bildprogramms des Aleppo-Zimmers lässt sich ein friedliches Miteinander der beiden monotheistischen Religionen gut verdeutlichen. Hier finden sich christliche Themen neben höfisch-persischen Szenen und literarischen arabischen Themen wieder. Die Holzvertäfelung stammt aus dem Jahr 1601 und gehörte dem christlichen Händler Isa Ibn Butrus – übersetzt „Jesus, Sohn Butrus“ –, der zu Wohlstand kam, weil die christlichen europäischen Kaufleute gern Religionsgenossen als Zwischenhändler einsetzten.
Das hier abgebildete Detail stammt aus dem religiösen Bildprogramm des Aleppo- Zimmers und zeigt das christliche Abendmahl. Der Kaufmann Ibn Butrus wählte für die Vertäfelung religiöse Themen, die auch muslimischen Gästen vertraut waren und sie somit nicht erzürnen konnten: Jesus zählt nämlich zu den rechtgeleiteten Gottgesandten und wird daher auch im Islam verehrt.
Die Wandvertäfelung stammt aus dem Raum des Hauses, der allein für den Empfang von Gästen vorgesehen war: Hier traf man sich, um über Geschäfte zu reden. Inschriften, wie „Schaue nicht darauf, wer spricht, sondern darauf, was er spricht“ oder „Wer großzügig ist, erntet Großzügigkeit“ tun das Ihrige, um einen fairen und doch lukrativen Handel zu beschleunigen. Andere Sinnsprüche wie „Die Vorzüglichkeit der Rede liegt in der Kürze“ verweisen darauf, dass nach einem abgeschlossenen Geschäft noch Zeit zur feierlichen Besiegelung sein muss. Eine andere Darstellung zeigt deshalb zwei Jünglinge beim Weintrinken. Dieses Bild versinnbildlicht die frühe Verbundenheit der beiden Kulturen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen