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Die Opposition wacht auf

Rund 500.000 Menschen demonstrieren in Rom gegen die Regierung Berlusconi und ihre Politik. Plötzlich machen sich die Chefs des Ölbaum-Bündnisses auch Gewerkschaftspositionen zu Eigen

aus Rom MICHAEL BRAUN

Am Samstag erreichte die Welle der Proteste gegen die Regierung Berlusconi ihren ersten vorläufigen Höhepunkt: Etwa 500.000 Menschen kamen in Rom zur Demonstration des Ölbaum-Bündnisses. Rot und Grün waren die Farben, die den endlosen Zug vom Bahnhof Termini zur überfüllten Piazza San Giovanni prägten: das Rot der Fahnen der Linksdemokraten und das Grün der Ulivo-Banner.

Zum Erfolg wurde die Demonstration, weil sie nicht bloß Heerschau der Mitte-links-Parteien war, sondern massenhaft unzufriedene Linkswähler nach Rom geströmt waren. Familien, Scharen von Rentnern, angejahrte 68-Veteranen, Schüler, Studenten: ein soziologischer Querschnitt des oppositionellen Italien. Vorneweg galt die Unzufriedenheit natürlich dem Regierungschef. Tausende hatten sich Pinocchio-Nasen aus Pappe aufgesetzt, um Berlusconi als Schwindler zu brandmarken. Andere schwenkten Bananen, Symbol für die „Bananenrepublik Italien“. Berlusconi selbst zog gleich mehrfach im Zug mit, überlebensgroß als Pappmaché-Napoleon, als Moses (mit dem und seinem Gesetzeswerk hatte sich Berlusconi im letzten Wahlkampf verglichen), mit Aktenkoffer und einem Plakat, auf dem er verkündet, dass er nach dem Außenministerposten auch „interimsweise“ die Rolle des Oppositionschefs übernehmen wolle.

Auf jeden Fall darf Berlusconi für sich in Anspruch nehmen, mit seiner Politik der letzten Monate die Opposition reanimiert zu haben. Egal aus welchem Milieu, jeder in Rom hatte am Samstag seinen Grund zum Demonstrieren. Für Lehrer und Schüler stand die auf Stärkung der privaten Institute zielende Schulreform im Mittelpunkt, für die Rentner das von Berlusconi nicht eingehaltene Versprechen einer Erhöhung der Mindestrenten, für die Gewerkschafter der Angriff auf den Kündigungsschutz.

Mehr noch aber bewegte wohl alle Teilnehmer der massive Angriff der Rechtsregierung auf die Justiz. Pünktlich zur Demonstration hatten Berlusconis Anwälte in zwei gegen ihn laufenden Prozessen den Antrag gestellt, die Verfahren von Mailand nach Brescia zu verlegen, da in Mailand die Staatsanwaltschaft dem Regierungschef feindlich gesonnen sei – und da die Massendemonstration im Mailänder Sportpalast vom letzten Wochenende beweise, dass dort die öffentliche Sicherheit nicht mehr gewährleistet sei. Carlo Taormina, Anwalt Berlusconis und Parlamentarier von Forza Italia, hatte noch am Freitag schwadroniert, selbst bei den Prozessen gegen die Roten Brigaden habe er sich nicht so unsicher und gefährdet gefühlt wie jetzt als Verteidiger in Mailand. Auf den Transparenten in Rom verwandelte sich deshalb Berlusconis Koalition „Haus der Freiheiten“ ins „Haus der Straflosigkeit“.

Einen weiteren Beitrag zur Mobilisierung hatte die Rechte mit dem am Donnerstag in der Abgeordnetenkammer verabschiedeten Gesetz zum „Interessenkonflikt“ – sprich zur Doppelrolle Berlusconis als Unternehmer und Ministerpräsident – geleistet. Jenes Gesetz legt fest, dass dieser Interessenkonflikt nicht existiert. Das „pure Eigentum“ an Unternehmen schaffe keine Inkompatibilität zwischen politischer und wirtschaftlicher Aktivität, und ein Interessenkonflikt bestehe auch dann nicht, wenn der Regierungschef seine eigenen Firmen mit politischen Akten begünstige; er müsse auch das öffentliche Interesse schädigen – so das neue Paragraphenwerk, das die Demonstranten als „Farce“ angegriffen.

Kritische Töne mussten sich aber auch die Oppositionsführer von ihrer eigenen Basis anhören. „Raus aus den Talk-Shows, runter auf die Straße“ oder „Schluss mit euren persönlichen Eitelkeiten“ hieß es auf Plakaten. Immer wieder forderten Sprechchöre „Einheit, Einheit“ von den Chefs der Mitte-links-Parteien, die die ersten zehn Monate der Opposition vor allem mit internen Auseinandersetzungen hingebracht hatten. Und die noch unlängst die Nase gerümpft hatten über die unten organisierten ersten Kundgebungen in Florenz, Mailand und Rom, da jenem Protest das „politische Projekt“ fehle.

Als Luciano Pellicani, Vertreter der Ein-Prozent-Sozialisten, am Samstag als Eröffnungsredner schulmeisterlich den hunderttausenden Demonstranten die „richtige“ Art, „verantwortlich“ zu opponieren, erklären wollte, wurde er ausgepfiffen. Oppositionsführer Francesco Rutelli schlug andere Töne an: „In diesen Monaten haben wir den Eindruck hinterlassen, wir seien kraftlos und in den eigenen Reihen gespalten, aber heute hat für uns der Wecker geklingelt.“

Nicht nur die Formen der Opposition – die in Zukunft dem offenen Zusammenstoß mit Berlusconi nicht mehr ausweichen wird, sondern auch ihre Inhalte verschieben sich darüber. So hatte das Ölbaum-Bündnis den Gewerkschaftsbund CGIL mit seinen Protesten gegen die Aufweichung des Kündigungsschutzes allein gelassen, weil Flexibilisierung auch in den Reihen der Opposition als Gebot der Stunde galt. In Rom traten Rutelli und der Chef der Linksdemokraten, Piero Fassino, als entschlossene Verteidiger der gewerkschaftlichen Position auf – beste Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaftsdemo am 23. März statt 500.000 eine Million Menschen nach Rom führt.

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