: Knete, Kirche, Kosovo
■ Der Bremer Bildhauer Hans-Jürgen Etzold schuf eine unorthodoxe Kreuzigungs-Gruppe, die dennoch in einen Sakralbau gefunden hat
So viel Aufmerksamkeit“, wundert sich Hans-Jürgen Etzold, „das ist fast ein bisschen unangenehm“. Seit der Übergabe seiner Figurengruppe „Kosovo“ an die Martinskirche in Lilienthal, im Kreise illustrer Gäste wie dem schaumburg-lippischen Landesbischof Jürgen Johannesdotter und Bremens Altbürgermeister Hans Koschnick, ist der 60-jährige Bildhauer ein gefragter Mann. Fünf Gipsfiguren sind es, die nun auf halbhoch an der Wand angebrachten Sockeln im Lilienthaler Gotteshaus stehen: der Gekreuzigte flankiert von einem Rollstuhlfahrer, einem grübelnden Beobachter mit den Zügen des Künstlers und zwei Frauengestalten. Die Klagende und die Mutter, die ihr Kind schützend auf dem Arm hält, hat Etzold nach Pressefotos gearbeitet: „Die Bilder aus dem Kosovo waren sehr stark, fast wie Gemälde“, erklärt er. „Das kam mir sehr entgegen, denn Bildhauerei ist immer auch Dramatik“. Warum aber die Verknüpfung mit dem christlichen Motiv? „Es war einfach so, dass mich die Bombardements eines christlichen Landes durch Christen ziemlich ratlos machten.“
Als politischer Künstler will sich der gebürtige Bremer nicht verstanden wissen, wenngleich Politik und Geschichte immer wieder den Anstoß für seine Arbeiten liefern: In Verden steht seit 1993 ein Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Verdener Juden. In Worphausen findet sich ein Denkmal für den polnischen Arzt und Pädagogen Janusz Korczak, der seine Schützlinge ins Vernichtungslager Treblinka begleitete. „L'art pour l'art“ ist das nicht gerade. Da kann Etzold noch so sehr betonen, das Wichtigste sei ihm das Spiel mit dem Material.
Tatsächlich zieht sich das Experiment mit dem bildhauerischen Rohstoff seit den frühen, vom konstruktiven Kubismus beeinflussten Arbeiten als roter Faden durch das vielseitige Werk des Bremer Künstlers. Eine Vorliebe, die er auch im bürgerlichen Beruf auslebt: Seit 30 Jahren arbeitet Etzold als Werk- und Kunsttherapeut in der diakonischen Behindertenhilfe. Seinen Broterwerb sieht er als Ergänzung zum eigenen Schaffen. „Wenn ein Mensch, der nur einen Arm hat, einen Baumstamm entrindet, ist das doch auch kreativ“, findet der Bildhauer und verkündet sein Credo: „Das Leben ist Kunst“.
Manches Mal wünscht sich der engagierte Werktherapeut allerdings, er könnte sich seinem Oeuvre regelmäßiger widmen: „Mein Werk weist ziemlich starke Brüche auf. Ich komme einfach nicht kontinuierlich zum Arbeiten, deshalb fehlen oft die Übergangsphasen“. Irgendwie schaffte es Etzold zumindest, am Ball zu bleiben. „Ich habe schon immer gern rumgewerkelt“, erinnert er sich an die künstlerischen Anfänge. „Als 12-Jähriger hab ich mal bei einem Kunst-Wettbewerb der Sparkasse 50 Mark gewonnen“. Die damals geknetete Umsetzung der sieben mageren und sieben fetten Kühe aus der Josefs-Geschichte würde er allerdings kaum in seinen Werk-Katalog aufnehmen. Etzold schmunzelnd: „Heute arbeite ich doch auf etwas anderem Niveau“.
„Kunst kommt von Können“, behauptet der Volksmund. Etzold jedenfalls hat die handwerklichen Grundlagen seines Schaffens von Grund auf gelernt. Ehe er an der Münchener Akademie Bildhauerei studierte, schloss er eine Steinmetz-Lehre ab. „Bremen war damals noch ziemlich kaputt“, erinnert er sich. „Die Martini-Kirche etwa war oben noch offen. Ich habe an der Restauration des Gewölbes mitgewirkt. Das war fast wie in der Gotik. Eine schöne Abwechslung zum Grabsteinemachen“.
Auch an der Wiederherstellung vieler anderer Gebäude war Hans-Jürgen Etzold beteiligt. Während des Kunststudiums übte er sein Handwerk nebenbei weiter aus: „In den Semesterferien habe ich immer wieder als Steinmetz gearbeitet. Irgendwie musste ich ja auch etwas Geld verdienen“, sagt er im Rückblick.
Reich ist der drahtige Künstler auch mit seiner „Kosovo“-Gruppe nicht geworden. Das stört ihn aber keineswegs. Er ist spürbar stolz darauf, dass sie ihren festen Platz in der Martinskirche gefunden hat. Bescheiden,wie er ist, gibt sich Etzold überrascht: „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass die das hier aufstellen“.
Christoph Kutzer
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