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Dem eigenen Bewusstsein verwandt

■ Laien und psychisch Kranke auf neuem Terrain: Die crazyartists im Goldbekhaus

Als Peter Brook vor knapp zehn Jahren Oliver Sacks Der Mann, der seine Frau mit seinem Hut verwechselte inszenierte, nannte er sein Inszenierungsmotiv: Das menschliche Hirn sei eine der letzten unerforschten Regionen, die es zu entdecken gelte; hier lauerten die größten Abenteuer. Es entstand ein Bilderbogen anekdotischer Krankheitsgeschichten.

Ebenfalls ein Weg aufs unbekannte Terrain suchen nun die Ak-teure von crazyartists. Professionelle Schauspieler und Laien mit psychischer Krankheitserfahrung präsentieren gemeinsam das Stück Showdown. Doch dieses verortet geistige Krankheit in anderem Kontext als Brook/Sacks. Und klar muss man es abgrenzen von den Vier Jahreszeiten der Station 17 auf Kampnagel, wo behinderte Schauspieler aus den Alsterdorfer Anstalten sich zu einem poetischen Bilderbogen finden. Showdown bettet Krankheitsaspekte in eine vielschichtige Satire aufs sich wandelnde Gesundheitssystem.

Auf der Bühne entfaltet sich eine TV-Show, die Zuschauer hocken wie das Klatschpublikum im Studio. Der neueste Thrill der Sendung Hier wird ein Mensch verhökert, wie Stückautor Peter Lanzoni es salopp formuliert. Schon heute sind gerade im Bereich der Betreuung psychisch Erkrankter viele Aufgaben vom Staat auf private Initiativen übertragen worden. Was läge da näher, als Menschen, die den Staat Geld kosten, an Meistbietende zur Wiederverwendung zu versteigern. Oder zur Aufbewahrung in ein Drittweltland mit billiger Pflege zu exportieren. Erst mit der Zeit wird klar, dass das Studio auf der Bühne nur virtuell ist, es sich um eine Versuchsanordnung in einer Klinik handelt. Die Moderatorin und ihre beiden Gäste sind Insassen, die Assistenten am Rande sind Ärzte. Denn immer wieder kommt es zu heftigen Ausbrüchen Einzelner. Wer aber auf der Bühne realiter Erfahrungen als Patient der Psychiatrie hat, ist nicht erkennbar.

Seit anderthalb Jahren gibt es die crazyartists. Peter Lanzoni rief sie, nachdem er zuvor als Schauspieler, Sozial- und Theaterpädagoge über Jahre an der Uniklinik Eppendorf Kurse angeboten hatte, ins Leben. Unter dem Label „Kunst+Integration“ stehen neben Theater auch andere Kunstgattungen in Kursen und Projekten auf dem Programm. Dabei ist Vermarktung eine wichtige Methode, um integrative Arbeitsplätze zu schaffen.

Regisseur Jens Paarmann, vor allem in der freien Hamburger Szene zu Hause, will mit seinem ersten integrativen Projekt auch dazu beitragen, psychisch Kranke von einer verklärenden Ausgrenzung zu befreien. „Manche Leute halten sie für bessere Menschen“, sagt er. Dabei scheint die grundlegende Topographie in den Köpfen so unterschiedlich nicht: Den crazyartists gelingt es, dem Zuschauer pathologische Zustände als dem eigenen Bewusstsein verwandte erfahrbar zu machen. Oliver Törner

Donnerstag, 7.3., bis Sonnabend, 9.3., 20 Uhr, Goldbekhaus

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