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„Viel Blutdruck gekostet“

Pokal ist immer anders gut: Im ersten Halbfinale ärgert ein leidenschaftlicher 1. FC Köln den ausgebrannten Nachbarn Bayer Leverkusen, verpasst beim 3:1 n. V. aber unglücklich die Sensation

aus Leverkusen BERND MÜLLENDER

Froh und glücklich waren die Leverkusener nachher, dass sie der großen Schmach noch einmal entkommen waren. Trainer Klaus Toppmöller sagte, er habe „das schnelle Passspiel gewollt“ gehabt, aber: „Wir waren so müde und haben es nie geschafft.“ Alle seien platt gewesen, ausgebrannt von der Dauerbelastung: „Der Oliver Neuville hat fast um seine Auswechslung gebettelt.“ Also abhaken: erschöpft freuen, durchatmen, auf nach Berlin am 11. Mai. Für Manager Reiner Calmund („Das Pokalfinale ist ein sportpolitisches Highlight, das heißt eine Fußballkultveranstaltung“), von der morgendlichen Aussage im Koblenzer Daum-Prozess noch „emotional aufjewühlt“, hatte der packende und turbulente Pokalkrimi sogar erfreuliche gesundheitliche Folgen: Das Spiel habe den Dicken „mit der Blutgruppe positiv bekloppt“, sagte er, „viel Blutdruck gekostet“.

Es muss in der Präambel der berühmten, gleichwohl geheimen Pokal-Gesetze stehen, dass dieser wunderbare Wettbewerb in Deutschland, anders als in England, so traurig wenig beachtet wird. Dabei führt der DFB-Pokal den Fußball zu seinen Wurzeln zurück: Pokal ist entrückte Leidenschaft, Show-down mit Sekt oder Selters, die ausgespielte Verneinung des Unentschiedens. Das gilt erst recht für ein solches Derby-Halbfinale mit Fans, die einander in herzenstiefer Abneigung zugetan sind. Während 120 Minuten gab es ohne Pause bilaterale Spottgesänge: grell, giftig, verhöhend; kurz: einfach schön. Vielleicht war es das lauteste Spiel in der Geschichte der BayArena.

Der Pokal mag eigene Gesetze haben, sicher hat er eine eigene Seele. DFB-Pokal ist, wenn Stars sich an Tricks probieren, die sie selbst nicht verstehen (Ze Roberto), Sprints im Stand versuchen (Ballack), Zweikämpfe besonders schläfrig zu verlieren suchen (Ramelow), den Bewegungsradius einer Tipp-Kick-Figur unterschreiten (Nowotny) oder vehement an sich selbst vorbeilaufen wollen (Lucio). Pokal ist auch, wenn sich Durchschnittspersonal (Kölns Cichon, der erfolgsgedopte Mr. 1.033 Minuten) zur überragenden Figur steigert, die alles mit Verve weggrätscht und umjubelt abläuft. Und der Rest zum Kollektiv wild kämpfender Hasardeure wird, die nichts unversucht lassen, dem überheblichen Gegner immer wieder beifallumrauscht den Pokalball aus den Füßen zu spitzeln. Das Frühjahr ist auch die Zeit des Schaulaufens, der Pokal ein ideales Schaufenster für neue Verträge. Viele Kölner Kicker haben am Dienstag gut in ihr Image investiert.

Der Erste gegen den Letzten der Ligatabelle – so etwas hat im Pokal keine Bedeutung. Favoriten sind dazu da, sich selbst vorzuführen. Nullnull zur Pause – Leverkusens Exkicker Hans-Peter Lehnhoff sagte: „Ein ganz gefährlicher Spielstand.“ Folge: Man glaubt es selbst, aber auch, man schaffe es schon. Irgendwann kriecht dem großen Favoriten dann die Angst ins Gedärm. Die Angst vor dem einen Konter. Geduld, heißt es, sei entscheidend, aber man kann auf den Tribünen fühlen, wie sie zu Lethargie zerfällt. Selbst der geschenkte Führungstreffer per Eigentor von Kölns Zellweger (60.) ändert für Bayer daran nichts. Auch nicht Donkovs dummer Platzverweis (77.). Denn die spielerisch nur zweitligatauglichen Kölner ersetzen ihn mit dem Mut der Verzweiflung, haben in der Nachspielzeit die erste Ecke – und treffen durch Kameruns Afrikameister Rigobert Song. Und in Minute 93 hat der FC nach einen Idealkonter gar die beste Chance des Spiels: Lilian Laslandes, schon als „Laslandesliga“ verspottet, schiebt Zentimeter am Tor vorbei. In wenigen Minuten hatten Kölns Vereinsfreunde, fast ein Viertel des Publikums an diesem Abend in der BayArena, mehr Verzückung zu bewältigen als in der gesamten Saison. Schließlich hat Bayer Leverkusen in der Verlängerung mit zwei Toren den allmählich ermüdenden Gegner doch noch besiegt. Mit glücklichen Momenten überleben: Auch Pokalfußball ist eben nur Fußball.

Kölns Trainer Friedhelm Funkel sprach davon, die engagierte Leistung sei nur „ein kleiner Trost“, jetzt wolle man eben „wenn schon, dann mit Anstand absteigen“. Mit Abstand werden sie es ja wahrscheinlich sowieso. Doch abwarten: So ein Spiel macht entweder depressiv oder es puscht zu völlig neuen Energien. Funkel warnt die Konkurrenz: „Wir werden noch einige Spiele gewinnen.“ Immerhin hat der Pokal Fans und Mannschaft wieder ein wenig versöhnt. Heilmittel Niederlage. Auch das ist Pokal.

Bayer Leverkusen: Butt - Sebescen (46. Bastürk), Nowotny, Lucio, Placente - Schneider, Ramelow, Ballack, Zé Roberto - Berbatow (81. Zivkovic), Neuville (91. Kirsten)1. FC Köln: Pröll - Cichon - Zellweger, Song, Cullmann - Balitsch, Baranek (77. Kreuz), Voigt, Dziwior (80. Laslandes) - Scherz (66. Donkow), KurthSchiedsrichter: Merk (Kaiserslautern); Zuschauer: 22. 500 (ausverkauft); Tor: 1:0 Zellweger (60./Eigentor), 1:1 Song (90.), 2:1 Zivkovic (100.), 3:1 Schneider (114.); Gelbe Karten: Ballack, Lucio, Ramelow /Balitsch, Voigt, Dziwior, Cichon; Rote Karte: Donkow (76./Tätlichkeit)

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