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Das letzte Stündlein

■ Am Sonntag eröffnet die Sonderausstellung „Last Minute“ im Focke-Museum – eine Ausstellung zu Sterben und Tod. Und ein vorsichtiger Versuch, sich einem Tabu zu nähern

Der Tod, und das soll kein Kalauer sein, der Tod hat ein Doppelleben. Einerseits ist der Tod allgegenwärtig in den Medien, ist Quotenlieferant und Kassenschlager. Andererseits ist der Tod Tabuthema und wird aus dem öffentlichen Leben entfernt, so gut es nur geht. Der Tod wird delegiert an Dienstleister – vom Notar über den Altenpfleger bis zum Seelsorger sind Profis am Werk, die sauber und distanziert mit dem Tod umgehen. Alles hat seine Ordnung. Die These ist: Es gibt eine neue Sterbe- und Bestattungskultur, die die Rituale und Deutungen der Kirche abgelöst haben.

Diese These packen die Ausstellungsmacher im Focke-Museum bereits in den Titel: „Last minute“ heißt es da, in Anspielung auf die Dienstleistungsgesellschaft und auf die Eile der Menschen, ihren Hang, selbst den Tod möglichst schnell abzuwickeln. „'Last Minute' – früher hieß es: ,Das letzte Stündlein'“ meint Beat Hächler, der die Ausstellung im und für das schweizer Kulturzentrum Stapferhaus konzipiert hat.

Hächler hat das Thema in die sechs Bereiche Arbeiten, Sterben, Zuschauen, Verabschieden, Abgrenzen und Abreisen gegliedert. Prinzip ist, mit den einzelnen Facetten des Dienstleistungsphänomens Tod das zu versammeln, was sonst an viele unterschiedliche Hände delegiert wird. Dabei will Hächler weder „Wissen ausstellen“ noch die Dienstleister im Umfeld des Todes denunzieren. Er lässt die Leute zu Wort kommen: Der Bereich „Arbeit“ besteht aus Kabinen, in denen auf Vertreter einzelner Berufsstände wie der Pathologe, die Krankenschwester oder der Arbeiter im Krematorium auf Knopfdruck über ihre Arbeit mit dem Tod sprechen. Die Worte kommen aus dem Off und stehen für sich – Hächter hat lediglich in jeder Kabine einen für den Berufsstand typischen Teppich verlegt. Auf alles Laute, Schrille, Spektakuläre verzichtet die Ausstellung und aus diesem Verzicht gewinnt sie ihre Intensität.

Hächter enttabuisiert das Thema, ohne dabei voyeuristisch zu werden, er schafft Nähe, ohne die Distanz zu verlieren. Im Bereich Sterben lässt er die Bediensteten von Intensivstation, Hospiz oder Pflegeheim erzählen, danach zeigt er Zeichungen von Kindern, die mit dem Tod konfrontiert sind. Der plakativste Beitrag zur Ausstellung ist ein Kurzfilm, der die letzten Jahre und das Sterben der „Tante Rosi“ zeigt. Tante Rosi stirbt ganz „normal“ an Altersschwäche und es wird deutlich, dass solche Bilder vom Tod nicht bekannt sind – in dieser Form ist Tod kein TV-Thema.

Vieles in der Ausstellung funktioniert auf Knopfdruck oder wird per Kopfhörer vermittelt, dem Besucher steht also frei, das Angebot wahrzunehmen. Und vieles in der Ausstellung verhandelt nicht den Tod an sich, sondern die Art und Weise, wie die Lebenden damit umgehen: Da gibt es Särge zu sehen vom hochlackierten Holzsarg bis zum Kartonsarg, Urnen verschiedenster Machart und Kurzbeschreibungen von Bestattungsritualen, die mit dem Niedergang der Kirche immer individueller werden. Und am Ende des Rundgangs ist ausgestellt, was Schüler sich unter einem Leben nach dem Tod vorstellen, wie sie versuchen, das große Nichts zu deuten: „Dann wird die Diskette gelöscht“, schreibt einer. Die Ausstellung entlässt den Besucher ohne Schwere – aber mit einem stillen, neuen Interesse am Schweren.

Jakob Flex

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