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Begrenzt berühmt

■ Die kanadische Musikerin Veda Hille ist um Bremen unterwegs.Die taz sprach mit ihr über ihr neues Konzept

Veda Hille ist eine der Künstlerinnen, die auf dem Festival „Women in (e)motion“ für Bremen und Deutschland entdeckt wurden. Die kanadische Sängerin, Pianistin und Songwriterin zählt Glenn Gould und Thelonius Monk zu ihren Vorbildern und beschreibt sich selbst am liebsten mit so widersprüchlichen Wortkombinationen wie „komplexe Minimalistin“ oder „Punkerin der Klassik“. Diesmal überascht sie mit „Field Study“, einem Konzeptprogramm mit bewegten Bildern.

taz : Frau Hille, bisher sind sie in Bremen mit Band und eher rockiger Attitüde zu sehen gewesen, jetzt treten sie solo am Flügel auf und dazu läuft ein Video. Was ist passiert?

Veda Hille:Ich wollte immer einen höheren visuellen Anteil bei meinen Konzerten haben, und dafür bot sich mein neuer Liederzyklus „Field Study“ an, der sich im erster Teil mit Wissenschaft und Natur und im zweiten mit den Landschaften im Nordwesten Kanadas beschäftigt. So bat ich Shawn Chappelle, einen Videokünstler, den ich noch von der Kunsthochschule kenne, ins Yukon zu fahren und dort Aufnahmen zu machen. Und all das Zusammen ist jetzt eine 40 Minuten lange Mischung aus Musik und Bildern, auf die ich sehr stolz bin.

Das Ganze basiert ja auf einem Projekt, zu dem Sie eingeladen wurden

Ja, das war ganz erstaunlich. Das Yukon Art Center organisierte eine drei Wochen lange Reise in die Wildnis für zwölf verschiedenen kanadische Künstlerinnen. In den hohen Bergen über der Baumgrenze gingen wir dann „heli-hiking“ ...

Entschuldigung, aber ist das eine neue Wortschöpfung für Hubschraubertrips in schwer erreichbaren Landschaften? Das hört sich ja so paradox an wie „car-walking“.

Ja, stimmt, aber es war toll! Wir hätten sonst drei Tage gebraucht, um da hinzukommen, und wir waren ja alle Künstler und keine Athleten. Wir sahen außerdem auf der Reise noch kalbende Gletscher, Wale, wunderschöne Landschaften. Dann schickten sie uns wieder nachhause, wo wir was Neues daraus machen sollten. Das war der Anstoß für dieses Projekt.

Für mich hört sich das so typisch kanadisch an, dass es schon etwas nach Klischee riecht.

Ich weiß, dass dies dem entspricht, was Europäer sich unter Kanada vorstellen: Iglos und Huskies und Bären und Eis, aber ich hatte vorher noch nichts von all dem gesehen. Ich bin ein Stadtmensch und lebe nahe der Grenze zu den USA, da gibt es nicht viel Wildnis. Ich habe bei dieser Reise erst richtg verstanden, was Kanada wirklich ist.

Sie haben jetzt Songs über Wissenschaft, Planzen und Tiere geschrieben, davor einen Liedzyklus über die kanadische Malerin Emily Carr. Haben Sie einen besonderen Ehrgeiz, Lieder über Themen zu schreiben, auf die sonst niemand kommen würde?

Ich hatte in den letzten Jahren viele Songs über persönliche Beziehungen geschrieben, aber das interessiert mich nicht mehr. Als ich einer Freundin sagten, ich wüßte nicht, wovon meine nächsten Lieder handeln sollte, gab sie mir den sehr guten Rat: Schreib über das, was dich erstaunt! Und die Natur ist immer eine Quelle des Erstaunens für mich gewesen. Da bin ich immer ganz weg, wenn ich erfahre, wie die Dinge funktionieren und zusammenwirken. Trotzdem schleicht sich das Persönliche auch immer wieder ein. Ich habe zum Beispiel einen alten Schulaufsatz wiedergefunden, den ich als Sechsjährige über Pflanzen geschrieben habe. Das liest sich so schön und rührend, dass ich daraus ein schönes kleines Lied gemacht habe.

Sie entwickeln sich mit diesem Programm weg vom reinen Musikmachen und arbeiten seit einiger Zeit mit Film, Tanz und Puppentheater. Der Musikindustrie geht es ja derzeit auch nicht mehr so gut. Mir scheint es eine geschickte Karriereentscheidung zu sein, in unterschiedlichen Medien und Stilen zu arbeiten.

Das stimmt, aber es war nicht so sehr eine eigene Entscheidung sondern einfach eine Reaktion auf das, was passiert. Das letzte Jahr war sehr schlecht für das Musikgeschäft. Für Musiker ist nur noch sehr wenig Geld da, und ich mußte mir überlegen, womit ich Erfolg haben könnte. Für lange Zeit wollte ich mich selber als erfolgreiche Popmusikerin sehen. Und dann kam die Krise: Ich bin jetzt seit zehn Jahren im Geschäft, verdiene damit nicht viel Geld, denn ich bin eine Berühmtheit mit einem sehr begrenzten Kreis von treuen AnhängerInnen. Ich musste mir langsam eingestehen, dass ich wohl eher eine Künstlerin als ein Rockstar bin. Derzeit habe ich zwar nicht viel Geld, dafür aber absolute Freiheit meiner Arbeit. Und das kann kaum jemand in der Musikindustrie von sich sagen.

Fragen: Wilfried Hippen

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