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Bewahren, bewältigen

Subjektive Bruchstücke, dokumentarische Darstellungsweisen: Die Lesung „Authentizität“ an der Akademie der Künste reflektierte das Lesen und Schreiben über den Holocaust und den Bezug der Literatur zum Gestern und Heute

Vier jüdische Autoren und einer, der nur vorgibt, es zu sein: Maxim Biller, der Ausschwitz besucht; Art Spiegelman, dessen Vater dort interniert war und überlebt hat; Ruth Klüger, die drei Jahre ihrer Kindheit im KZ verbrachte; Binjamin Wilkomirski, der sich dieses Schicksal nur erfunden hat; und Robert Schindel, dessen Eltern verhaftet wurden, dessen Vater umgebracht wurde, während er unter falscher Identität im Nazi-Kinderheim lebte. Ihre Texte, die alle sehr unterschiedlich auf den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden Bezug nehmen, bildeten den Corpus der Lesung „Authentizität“ im Rahmen der Holocaust-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums. Schon der kontrapunktische Untertitel „Eine inszenierte Lesung“ macht deutlich, worum es hier ging: die schreckliche Realität der Vergangenheit und der Versuch der Bewahrung und Erinnerung, Annäherung oder Bewältigung durch die Literatur – von der ohnehin unsicher ist, ob sie so etwas wie „die Wirklichkeit widerspiegeln“ überhaupt leisten kann.

Fünf Schauspieler der Schaubühne ordneten sich, nebeneinander am Tisch sitzend und durch Namensschilder gekennzeichnet, den jeweiligen Autoren zu. Zur Identifikation lud das nicht ein: Während die Autoren verschiedenen Generationen angehören, sind die Vortragenden alle um die dreißig. Jeder Vorleser stellt zunächst den entsprechenden Autor vor und dann sich selbst, sodass schon die biografische Differenz ein Lesen in der Vergangenheit markiert. Diese Lektüre findet dann reihum in thematischen Segmenten statt, als Zwischenbemerkungen werden Zitate von Adorno und Finkelstein, aus dem Feuilleton und MTV eingefügt. Die ansonsten unkommentierte Nebeneinanderstellung der Textstücke wirft eine Menge an schwierigen Fragen auf: Wo verläuft die Grenze zwischen Erlebnis und Erzählung, offizieller Geschichte und individueller Erinnerung, zwischen den Toten, der Generation der Überlebenden und ihren Kindern? Lässt sich das Trauma des Terrors durch literarisches Schaffen bewältigen (Klüger), oder bricht es den Schriftsteller, der Komödien schreiben möchte (Schindel)? Kann man versuchen, die „Geschichte so zu erzählen, wie sie wirklich war“ (Spiegelman), oder „Schluss mit den Legenden“ und der ganzen „Holocaust-Scheiße“ (Biller) machen? Und ausgerechnet Wilkomirski, dessen vorgebliche Autobiografie „Bruchstücke“ sich als komplettes Fake herausgestellt hat, beharrt hier auf der Authentizität der subjektiven Erfahrung gegenüber einer dokumentarischen Darstellungsweise des Holocaust: „Nein, so war es nicht, das ist Betrug.“

Alle diese Fragen wurden natürlich nicht geklärt. Vielmehr bot die Lesung mit all ihren Widersprüchlichkeiten einen sehr zum Weiterdenken und -lesen anregenden Einstieg in die literarische Behandlung des Holocaust, die eines auf jeden Fall klar macht: Mit der Vergangenheit muss sich weiter beschäftigt werden. Denn das wirklich fraglos Authentische ist der weiterexistierende Rassismus und Antisemitismus der Gegenwart.

AXEL WERNER

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