piwik no script img

Heidenlaune auf den Pott

Der DFB-Pokal feiert in dieser Saison ein Comeback. Die Großen nehmen ihn wieder ernst. Schalke 04 besiegt im Halbfinale Bayern München und darf am 11. Mai in Berlin gegen Bayer Leverkusen kicken

aus Gelsenkirchen HOLGER PAULER

Es ist wieder chic, sich zum DFB-Pokal zu bekennen. Von Bayer Leverkusen und dem 1. FC Köln über Bayern München bis hin zum FC Schalke 04, alle wollten sie zum Finale nach Berlin. Auch das Spiel in der Arena auf Schalke zeigte dies deutlich. 120 Minuten im Grenzbereich des Erlaubten und teilweise darüber hinaus. Gnadenlose Zweikämpfe, wenig Spielkultur. Da war es nur logisch, dass das Spiel, wie bereits das erste Halbfinale zwischen Leverkusen und Köln, durch eine rote Karte entschieden wurde: Sammy Kuffour grätschte in der letzten Minute der regulären Spielzeit Marc Wilmots von hinten in die Beine und seinen Verein aus dem Wettbewerb.

Das konditionelle Übergewicht der Bayern, welches sich in den letzten 20 Minuten der regulären Spielzeit auszuzählen schien, war mit einem Male hinfällig. „Taktisch unklug“, nannte Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld das Foulspiel des ghanaischen Nationalspielers. Unklug und überflüssig vor allem deshalb, weil einerseits an der Mittellinie keine Gefahr drohte, andererseits Schiedsrichter Fandel seine Pfeife zum Abpfiff schon im Mund hatte. Die Schalker bedankten sich und machten in der Verlängerung durch Tore von Marco van Hoogdalem und Jörg Böhme den Sack zu.

Während der regulären Spielzeit warteten die Zuschauer vergeblich auf Torchancen. Das Spiel fand vornehmlich zwischen den beiden Strafräumen statt. Beide Defensivverbände waren äußerst konzentriert, die Angreifer auf beiden Seiten abgemeldet. Abwarten hieß die Devise, niemand wollte den ersten, wohlmöglich entscheidenden Fehler machen. Bis zur 90. Minute ging die Rechnung auf. Auf beiden Seiten. Beim FC Schalke 04 lag dies vor allem an einem Spieler, den niemand auf der Rechnung hatte: Mannschaftskapitän Tomasz Waldoch. Im Verlauf der Woche vollzog er eine der wundersamsten Heilungen der Fußballgeschichte.

Am vergangenen Samstag in Cottbus schied Waldoch mit einem Bänderanriss im Sprunggelenk aus. „Zwei bis drei Wochen Pause“ lautete die Diagnose. Dass er fünf Tage später wieder auf dem Spielfeld stand, kam selbst für Trainer Huub Stevens überraschend. Noch am Vortag sagte der Schalker Trainer: „Nicht alle, die spielen wollen, können dies auch.“ Doch die Aussicht auf Berlin ließ Waldoch in Rekordtempo gesunden. Im letzten Jahr musste er das Endspiel wegen einer Verletzung von der Tribüne aus ansehen. „Ich will den Pokal endlich auch einmal in Spielkleidung entgegennehmen“, sagte er hinterher, „dafür riskiere ich sogar meine Gesundheit.“ Die Gesundheit aufs Spiel setzen für den DFB-Pokal?

Über viele Jahre fristete der Wettbewerb nur ein Schattendasein. Niemand schien ihn mehr zu lieben. Die Zuschauerzahlen sackten in den Keller, der Europapokal der Pokalsieger wurde in den Uefa-Cup integriert, die Branchenführer der Bundesliga rotierten sich regelmäßig aus dem Wettbewerb – stattdessen gehörten Zweit- oder Drittligisten zum Halbfinalinventar. Dem Pokal haftete ein Loser-Image an. Die ewigen Verlierer konnten hier ihr Selbstwertgefühl stärken und die Großen ärgern. Ernst genommen wurden sie deshalb noch lange nicht.

Aber irgendwie ist in diesem Jahr alles anders. Drei der ersten vier der Bundesliga erreichten die Vorschlussrunde. Nur Borussia Dortmund verabschiedete sich obligatorisch in der ersten Runde. Für die Leverkusener war das Pokalspiel gegen Köln wichtiger als das vorentscheidende Champions-League-Match gegen Juventus Turin. Die Bayern sannen auf Rache für das 1:5 in der Bundesliga – „ein Sieg auf Schalke würde für einiges entschädigen“, sagte Giovanne Elber vor dem Spiel, „wir sind hoch motiviert“ – und die Schalker wissen spätestens seit letztem Jahr, dass der Pott zumindest teilweise für eine verlorene Meisterschaft entschädigen kann.

Ob es am 11. Mai in Berlin wieder um Frustbewältigung geht, bleibt abzuwarten. Mit Schalke und Leverkusen treffen jedenfalls die Bayerngeschädigten der letzten Jahre aufeinander. Das Interessante dabei: Beide Teams haben noch die Chance auf das Double. Und da haben sie den Bayern etwas voraus. Jetzt gilt es nur noch, diesen Vorteil auszunutzen. Um die Zukunft des DFB-Pokals muss man sich wahrlich keine Sorgen mehr machen.

FC Schalke 04: Reck - Oude Kamphuis, Waldoch, van Hoogdalem, van Kerckhoven - Nemec (77. Agali) - Wilmots, Möller, Böhme (118. Büskens) - Asamoah (101. Djordjevic), SandFC Bayern München: Kahn - Kuffour, Robert Kovac, Linke, Lizarazu - Hargreaves, Effenberg, Jeremies (69. Fink), Sergio (69. Pizarro) - Santa Cruz, Elber (91. Zickler)Zuschauer: 60.683, Tore: 1:0 van Hoogdalem (100.), 2:0 Böhme (115.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen