: Gemisch aus Lust und Angst
Am Teufelsberg in Harrachov geht es an diesem Wochenende um die Krone für den König der Lüfte. Sven Hannawald hat dabei gute Chancen, seinen Weltmeistertitel im Skifliegen zu verteidigen
von KATHRIN ZEILMANN
Neun olympische Medaillen reichen nicht. Die Skispringer wollen in diesem Winter noch einen Titel. Und den nennen viele die Krone des Königs der Lüfte. Denn es geht um Skifliegen. Am Teufelsberg in Harrachov trifft sich an diesem Wochenende die Skisprung-Elite um den zu ermitteln, der am weitesten fliegen kann. Allerdings: Das erste Training im tschechischen Riesengebirge ist bereits dem Wind zum Opfer gefallen, der den Skifliegern gewohnheitsgemäß nicht sonderlich gnädig ist. Zur Erinnerung: Die letzte Skiflug-WM 2000 in Vikersund wurde erst mit einem Tag Verspätung zu Ende gebracht.
Gewonnen hat damals Sven Hannawald, einer der Begnadetsten im Zirkus der fliegenden Männer. Hannawald dürfte auch diesmal erster Titelanwärter sein. Denn galt er vor zwei Jahren noch als psychisch weniger stabile Nummer zwei im deutschen Team hinter Martin Schmitt, ist er nun dank seines grandiosen Sieges bei der Vierschanzentournee dank seiner Silbermedaille im Einzel und dank seiner Goldmedaille im Team bei Olympia zum gefestigten Athleten mit Siegambitionen auf allen Skisprunganlagen gereift. Hannawald hat sich zusammen mit Co-Trainer Wolfgang Steiert und Springerkollege Martin Schmitt in der norwegischen Einsamkeit von Lillehammer auf die Flugshow von Harrachov vorbereitet. Und er scheint fit, das beteuert jedenfalls Steiert: „Sven will wieder angreifen“, sagt der. „Wir rechnen uns bei der WM schon etwas aus.“
Skifliegen ist die Maximalversion des Skispringens. Die Anlagen sehen gigantisch aus, nur fünf Skiflugschanzen gibt es überhaupt: in Harrachov, im österreichischen Bad Mitterndorf, in Vikersund, in Planica (Slowenien) und in Oberstdorf. Skispringen ist wie Fahrradfahren, Skifliegen wie Motorradfahren – so könnte man umschreiben, dass die Springer nicht schon nach etwa 120, sondern bei 200 Meter landen. Der Luftwiderstand ist größer, der sichere Boden viel länger und viel weiter entfernt. Die Anlaufgeschwindigkeit ist bis zu 100 Stundenkilometer schnell, die Verletzungsgefahr bei einem Sprung größer.
Trotzdem: Kein Athlet wird sagen, dass er Angst vor dem Skifliegen hat.
„Respekt, das freilich“, gibt Mannschaftsolympiasieger Michael Uhrmann zu. „Und die Belastung ist schon auch enorm.“ Aber sie lieben nun einmal das Risiko, den Thrill. „Sonst wäre ich ja kein Skispringer geworden. Mut zum Risiko gehört dazu“, meint Uhrmann. Während einer Skiflugveranstaltung verlieren die meisten Athleten enorm an Gewicht, in der Nacht durchschlafen können sie kaum, und der Hormonhaushalt spielt verrückt. Was Skifliegen tatsächlich ist für Sportler und Trainer, bringt der österreichische Chefcoach Toni Innauer auf den Punkt: „Eine Mischung aus totaler Begeisterung, Lust und Ekstase – und andererseits ist es eine Gratwanderung zu Gefahr, Risiko, Absturz und Verletzung. Genau in diesem Angst-Lust-Gemisch liegt der Reiz.“
Wer ist also in diesem Jahr der Mutigste, der Weiteste, der Ästhetischste? Sven Hannawald vielleicht oder doch Martin Schmitt, der nach seinem Weltcup-Sieg in Lahti vergangene Woche wieder Auftrieb spürt? Vielleicht Simon Ammann, der Schweizer Doppel-Olympiasieger, oder der im Weltcup führende Adam Malysz aus Polen? Und dann gibt es da ja auch noch den Österreicher Andreas Goldberger, der wohl nicht den WM-Titel holen wird, sich aber dennoch als der wahre Held der Lüfte sieht. „Schließlich habe ich ja den Weltrekord“, erklärt der 29-Jährige, der immer noch aussieht wie ein Teenager. 225 Meter flog er im letzten Jahr auf der Anlage in Planica, und es schien, als wollten seine Skier gar nicht mehr den Boden berühren.
Der Flug von Planica wird wohl der letzte große Auftritt von „Goldi“ gewesen sein. Zu Olympia durfte er zwar mitfahren, der Trainer verzichtete aber auf seinen Einsatz. Die Zeit des blonden Jungen mit dem Milchgesicht scheint vorbei. Doch in den Rekordbüchern des Skifliegens ist sein Name für immer verewigt.
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