: Comedy killt Talente
Taucherflossen, gelbe Regenjacken, dralle Susis, fliegende Bananen und Geschlechterverwirrung mit Gitarre: Bei der „Zitty“-Talentshow „Der Star bin ich“ im Matrix regierte die Lust an der Routine, am Wiedererkennen des Altvertrauten
Obwohl die Show in den Gewölben der Technodisco Matrix stattfindet, scheinen sich manche an diesem Abend nur schwer vom Gedanken an Kabarett freimachen zu können und stellen Barhocker an den Bühnenrand. Schließlich werden neben der Affenbande King Kong Kotze auch Stelzenläufer und Pantomimekünstlerinnen erwartet.
Die Ankündigung auf der Homepage der Zitty versprach, das „Zitty“-Party-Publikum würde aus den skurrilsten, kreativsten und originellsten neuen Talenten der Stadt einen Sieger wählen dürfen. Im gedruckten Heft war vorsichtiger formuliert worden: Beim Teilnehmer-Casting für die Talentshow „Der Star bin ich“ hatte man diejenigen zum Contest zugelassen, die ein „kritisches und wenig diplomatisches Publikum wohl am besten bei Laune halten können.“
Kleinkunst in der Großraumdisco? Was zunächst als komische Kombination erscheint, ist gar nicht so außergewöhnlich. Wettbewerbe, beispielsweise Miss-Wahlen, gehören ins Unterhaltungsprogramm jeder ordentlichen Discothek. Das Vielversprechende an diesem Abend ist allerdings, dass die Bandbreite der dreizehn Qualifikanten ungleich höher ist als bei der Wahl zur Miss-Wet-T-Shirt. Conférencier Kurt Krömer eröffnet den Abend. Er stiehlt den Qualifikanten von Anfang an routiniert die Show, indem er Neuköllner Originalton mit dem Look des Nerds mit Brille kombiniert. Als einer der Ersten tritt ein junger Mann namens Wolf Lange als Friesen-Impersonator auf. Er stellt Robbe und Kutterfischer zugleich dar und steppt mit Taucherflossen und gelber Regenjacke. Er ist zwar skurril, kann das Publikum aber nicht bei Laune halten. Die ersten Buhrufe werden angestimmt.
Der folgende Teilnehmer, Schlagersänger Norbi, ist schon älter und sieht Gottlieb Wendehals ähnlich, der der Welt den unvergesslichen Faschingshit „Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse“ beschert hat. Norbi hat bereits bei diversen Schlagerpartys von Berlin bis Bad Bentheim mitgewirkt. Er ist angekündigt als der schönste Mann von Lichterfelde und erwähnt gleich, dass Frauentag ist. Dann singt er von der drallen Susi. Das Publikum ist begeistert.
Es kristallisiert sich schnell heraus: Hier regiert die Lust am Wiedererkennen des Altvertrauten. Routine ist gefragt. Als Imitat mit sicherem Handwerk lässt es sich landen. Ein Duo mit dem schlimmen Namen „Two Voices“, das aus der Rocky-Horror-Picture-Show zitiert, wird wegen seiner geschult übertreibenden Stimmen respektiert. Leider keine Chancen, ähnlich wie Wolf Lange, haben dagegen Larry und Cindy unter dem Namen Ape-Chaper Crew, die drollig eine Fernsehverkaufsshow nachspielen, aber nicht wie alte Comedy-Hasen, sondern eher wie unverbrauchte Abiturienten wirken.
Nach der Pause wird dieselbe Polarisierung deutlich. King Kong Kotze markieren trashige Punkrocker mit Affenmasken. Man wird von Bananen unsanft am Kopf getroffen, die Gitarren heulen. Das Publikum aber ist mittlerweile ebenso beflissen wie mordlüstern und hat sich so richtig eingebuht. Wer sich zu sehr zum Affen macht, sprich, Amateur ist und etwas vorführt, das das Publikum nicht einordnen kann, fällt durch.
Eine Person mittleren Alters namens Coco Lorés, die wenig später auftritt, ist dann das, worauf alle den ganzen Abend gewartet haben. Sie vereint in ihrem Outfit, was langjährig als lustig bekannt ist: eine staubfarbene Omma-Perücke, eine Perlenkette, Geschlechterverwirrung, dazu eine Gitarre. Sie singt eine deutsche Coverversion des Rolling Stones-Hits „Angie“, umgedichtet auf Angela Merkel. „Angela, oh Angela, jeder merkelt, wer du bist … hat Kanther auch Dregger am Stecken, mach dir keinen Biedenkopf.“ Das hat es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bei „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ schon gegeben. Das Publikum aber findet Lorés super, weil sie profimäßig aus dem Fundus altbewährter Comedystrategien schöpft und damit wenig Angriffsfläche bietet. Am Ende siegen tatsächlich das wenig originelle politische Lied und der tantige Transenlook.
Ein Geschenk zum Frauentag kann das nicht sein, denn die alte Sexistentradition des Nummerngirls wurde an diesem Abend ganz groß geschrieben. Die traditionelle Comedy hat die neuen Talente besiegt. Die frisch gekürte Coco Lorés bekommt den als Preis ausgeschriebenen Scheck über fünfhundert Euro überreicht, außerdem einen Keramikteller mit dreidimensionalem Hirschkopf vom Partysponsor Jägermeister. Sie singt abschließend ein Lied von Leonard Cohen auf Deutsch, „Susanne, du gabst mir Tee und Orangen aus dem Bioladen.“ JULIE MIESS
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