: Protest im Uhrzeigersinn
Mit einem vierjährigen Fußmarsch einmal rund durch Europa will Jampa Yöntän auf die Unterdrückung der Tibeter aufmerksam machen. Gestern startete der Mönch in Berlin
Nicht nur seine kaukasischen Züge unterscheiden Jampa Yöntän von einem klassischen Tibetmönch. Zwar hat er den typisch geschorenen Kopf und auch sein rot-gelbes Gewand ähnelt dem des Dalai-Lama. Etwas eigentümlich wirkt aber sein Bart. „Der widerspricht aber gar nicht den religiösen Vorstellungen der Tibeter“, antwortet Yöntän, „es haben halt nur wenige Tibeter einen wirklichen Bartwuchs“.
Yöntän heißt mit bürgerlichem Namen Johannes Haufschild und wohnte bis jetzt in Bad Nenndorf bei Hannover. Pünktlich am 43. Jahrestag des tibetischen Aufstandes gegen die chinesischen Besatzer startet Yöntän gestern seinen Friedensmarsch vor der chinesischen Botschaft in Berlin. Vier Jahre will er mit einem Handwagen zu Fuß durch Europa ziehen und auf die Situation der Tibeter aufmerksam machen. Sein erstes Ziel: Dresden. Von dort soll es weitergehen nach Prag, Nürnberg, Wien, Budapest und dann nach Italien, Frankreich, Spanien, England, Norwegen, Dänemark, bis er irgendwann wieder in Berlin ankommt – und immer im Uhrzeigersinn. Denn alle positiven und religiösen Handlungen im tibetischen Buddhismus werden rechtsherum getragen. Eine falsche Richtung bringe Unglück, glaubt Yöntän.
Zum buddhistischen Glauben fand er vor acht Jahren. „Ich war mit meinem Leben unzufrieden“, erinnert sich der 63-Jährige. Der studierte Elektrotechniker war zuvor zwei Mal verheiratet, zog sechs Kinder auf, besaß ein Fachwerkhaus auf einem Grundstück mit Wald, Teichen und Weiden – und er hat vor allem gearbeitet. In seiner Firma waren am Ende acht Ingenieure und 32 Monteure angestellt. Trotzdem fand er keine Erfüllung im Leben. Er schloss die Firma 1992, trennte sich zwei Jahre später von seiner Familie und beschloss Mönch zu werden. Tibetischer Mönch.
Vor drei Jahren wurde er vom Dalai Lama im indischen Dharamsala zum „Novice“ ordiniert. Danach holte er seine kranken Eltern aus dem Altersheim, zog mit ihnen in eine Wohnung und pflegte sie – bis zu dem Tag, an dem die beiden starben. Seitdem widmet Yöntän seine Zeit nur noch dem Friedensmarsch.
Die Idee entstand vor drei Jahren. Damals war er in Dharamsala und sah tibetische Mönche und Nonnen drei Tage lang in einer Nebenstraße demonstrieren. „Mir wurde bewusst, dass das Anliegen auf Frieden und Heimat der Tibeter weltweit erfolgen muss.“ Er wollte selbst aktiv werden. „Die Tibeter praktizieren ganzkörperliche Niederwerfungen, um ihren Stolz zu besiegen und schlechtes Karma abzubauen“, erläutert Yöntän. Er selbst hasst wandern. Aber er hofft, dass sein sich quälender Einsatz die Menschen bewegt, über den Wert von Frieden nachzudenken.
Mit seinem vierjährigen Marsch will er vor allem die europäische Chinapolitik anprangern. Kein Geschäft, und sei es auch ein Milliardenauftrag wie die Magnetschwebebahn, dürfe zu Lasten der Menschenrechte abgeschlossen werden. Tibeter seien in ihrem eigenen Land nach wie vor Menschen zweiter Klasse. Schon der Besitz eines Fotos vom Dalai Lama habe eine mehrjährige Gefängnisstrafe mit Folter zur Folge. Deswegen findet er auch die Entscheidung falsch, dass China 2008 die Olympischen Spiele austragen soll. Sie diene ausschließlich finanziellen Interessen Pekings – aber auch des Westens.
Darüber und auf die Situation der Tibeter möchte Yöntän auf seiner Reise jeweils vor Ort informieren. Das kann ein Vortrag sein oder auch eine Demonstration. Auf jeden Fall möchte er mit Bürgermeistern, Ministern und anderen Politikern in Kontakt treten und versuchen, sich mit ihnen und einer Tibetflagge fotografieren zu lassen. Diese Fotos wird er zusammen mit einem Tagebuch ins Internet stellen – und auch wer sich nicht fotografieren lassen möchte, findet im Internet den entsprechenden Hinweis. „China und seine Unterstützer müssen moralisch immer wieder auf allen Ebenen unter Druck gesetzt werden“, so Yöntän.
Sein Vorhaben stieß aber gerade bei Gruppen und Vereinen auf Skepsis, die sich aktiv mit Tibet beschäftigen. Viele fanden seine Idee verrückt und wollten ihn zumindest finanziell nicht unterstützen. Für seinen Marsch muss er daher selbst aufkommen, sprich das Essen, die Übernachtung, Reisekosten und Batterien für seinen Handwagen wird er erbetteln. „Ich verlasse mich einfach auf die spontane Hilfe.“ Insgesamt 15.000 Kilometer plant Yöntän zurückzulegen. „Als alter Mann werde ich jeden Tag so lange laufen, wie es mir gut geht.“ FELIX LEE
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