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Merkels Motivationskurs

Die CDU-Chefin gibt ihren strategielosen Berliner Parteifreunden Nachhilfe in Oppositionspolitik. Vorsitzkandidat Stölzl glänzt bei der Fraktionsklausur nur am Bass. Heute geht er auf Basistour

von STEFAN ALBERTI

Wenn die CDU demnächst einheitlicher auftritt, hat sich für Angela Merkel ein Wochenendtrip ins Brandenburgische gelohnt. Bei Neuruppin, wo Straßen noch nach Ernst Thälmann heißen und die Berliner CDU-Fraktion ihre Oppositionsrolle suchte, hat sie für die Bundestagswahl Geschlossenheit gepredigt. Alles stehe und falle damit. Fraktionschef Frank Steffel hörte das gern, denn an seinem Führungsstil gab es hinter verschlossenen Türen Kritik. Geschlossenheit braucht aber auch Christoph Stölzl. Der designierte CDU-Landeschef startet heute seine Bewerbungstour durch die Kreisverbände, und die sind für ihn weitgehend Terra incognita.

Die Fraktionsklausur ist schon einen Tag alt, als die Chefin erscheint. Haushalts- und Finanzpolitikpolitik sind durchgehechelt, der Sparkurs Sarrazins ist verdammt, ein Gegenmodell diskutiert und Sozialpolitik mit Wirtschaftspolitik gleichgesetzt. Merkel kommt als Heilsbringerin daher, die der siechen Fraktion eine Visison geben soll: Sehet, die Angela, die hat es doch auch geschafft, ein paar Jahre nur Opposition und jetzt dicke Chancen auf die Regierungsübernahme. Erzählen soll sie davon, den Wahlverlierern vom Oktober mit einer Strategie weiterhelfen.

Und die Angela erzählt. Dass ihr ein langfristiger Plan mit klarer Botschaft weiterhalf. Dass die Berliner Union das Flaggschiff für die Großstadtpolitik der CDU sein soll. Und dass eben Geschlossenheit so wichtig ist. Nicht vorschnell ein Thema losbrechen, das Flügelkämpfe auslösen kann, nein, „lieber einen Moment länger schweigen und sich über die Geschlossenheit der Truppe freuen“.

Eine konkrete Oppositionsstrategie findet die Truppe aber auch an diesem Wochenende nicht. „Merkwürdig ziellos“ nennt der kommissarische Landeschef Joachim Zeller zwischenzeitlich die Diskussion. Ansätze gibt es, und bei denen mischen auch die Bezirkspolitiker der CDU stark mit. Herbert Weber etwa, Bürgermeister in Steglitz-Zehlendorf, der einen Spagat zwischen verantwortungsvoller Opposition und einem Stück Populismus fordert.

Ähnlich breit fächern sich die Meinungen in der Sozialpolitik. Fritz Niedergesäß, das Stammtischgewissen der Fraktion, will Bedürftige am liebsten zum Arbeitsdienst heranziehen. Sein Parlamentskollege Michael Dietmann hingegen kritisiert seine Partei dafür, Sozialhilfeempfänger schier wie Kriminelle zu betrachten.

Stölzl, der designierte Parteichef, hält sich weitgehend zurück. Zu Beginn der Klausur am Freitagabend hat er sich ohne Erfolg in der Haushaltspolitik versucht. Einen Gegenhaushalt sollte die Fraktion seiner Meinung nach aufstellen. Doch seine Kollegen winkten ab: Nicht zu machen mit nur noch 35 CDU-Parlamentariern, außerdem nicht Aufgabe der Opposition.

Die Fraktion hatte zum Auftakt Luft abgelassen. Siebeneinhalb Stunden, 46 Redebeiträge, so die Bilanz vom Freitag. Weitgehend Sachthemen, aber auch Kritik an Fraktionschef Steffel, dem Stölzl zu autoritäres Verhalten vorwarf. Steffel sieht das anders: Fraktionsmitarbeiter, auch parlamentarische Geschäftsführer, müssten sich angewöhnen, morgens um acht am Arbeitsplatz zu sein.

24 Stunden später, Angela Merkel ist längst weg, gibt sich die Fraktion beim bunten Abend wieder entspannt. Man tafelt auf einem Gutshof, und der zukünftige Vorturner Stölzl macht am Kontrabass schon jetzt den Entertainer. Das gibt Beifall, als ob man ihn am liebsten hier und jetzt wählen würde.

Mehrfach aber steht Stölzl an diesem Abend für sich allein im Raum, anders als Steffel, der dauernd im Gespräch ist. Er hat keine Hausmacht, und immer wieder kommt die Frage auf, wie er sich gegenüber den Kreisvorsitzenden behaupten soll. Selbst bei denen, die ihn zur Kandidatur brachten, gilt er nicht als Macher des Landesverbandes. Zukunftsweisende Reden soll er halten, Debatten anstoßen: „Er wäre mehr eine Art Parteipräsident.“

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