: Jenseits der Mathematik
Klaus Becker macht steinerne Würfel zu Kugeln – jedenfalls fast. Eine kunstphilosophische Ausstellung im Westwerk ■ Von Hajo Schiff
Die Tradition des Handwerks und der Kunst lastet schwer auf Bildhauern, wenn sie gewachsenen Stein in Form bringen. So macht auch Klaus Becker sich bei der Arbeit im Steinbruch Gedanken über die Grundlagen der Geometrie und die Gültigkeit und Umsetzbarkeit der alles beherrschenden Gesetze der Mathematik. Der Hamburger Künstler hat sein Atelier in der Nähe von Deutschlands nördlichsten Steinbrüchen im westfälischen Anröchte. Sein Prinzip ist es, von einem Würfel ausgehend, die Ecken und Kanten eines regelmäßigen Körpers solange zu brechen, bis er sich der Form einer Kugel nähert. Doch letztlich entsteht diese Idealform nie; auch bei theoretisch unendlicher Fortsetzung des Prozesses nicht.
Ab Freitag werden jetzt im Westwerk zehn solcher Steinkörper gezeigt. Zeichnungen und Fotos machen darüber hinaus das künstlerisch-wissenschaftliche Vorgehen einsichtig. Als ob die vielflächigen Figuren an den Kanten aufgeschnitten und in die Fläche aufgefaltet wären, ergeben sich hier wuchernde, nicht mathematisch, sondern eher biologisch anmutende Formen.
„Es steckt sehr viel in diesem schlichten Verfahren“, betont Klaus Becker, der seit langem immer wieder fast rauschhaft seiner Arbeit nachgeht. Dabei bestärken ihn Gespräche mit Mathematikern und Philosophen in der Aktualität dessen, was er erschafft. Der französische Mathematiker Engelbert Kronthaler brachte ihn angesichts der wuchernden Muster der Steinabreibungen auf die Idee, dass deren Varianten etwas mit der mehrwertigen Logik zu tun haben könnten, wie sie Gotthard Günther formulierte. Der deutsch-amerikanische Philosoph (1900–1984) hat die nicht-aristotelische, polykontexturale Logik als neues Werkzeug für die Geophilosophie und die Kulturtheorie des dritten Jahrtausends vorgeschlagen.
Auch Klaus Becker erweitert die in mathematisch eigentlich exakt fixierten geometrischen Körper um neue Varianten. Der scheinbar absoluten mathematisch-physikalischen Ordnung fügt er so individuell hergestellte Facetten hinzu, die man weder berechnen noch mathematisch erzeugen kann. Die also gewissermaßen aus der Mathematik gefallen sind...
Klaus Becker – Wilde Alte Seele. Eröffnung: Freitag, 15. März, 19 Uhr; Westwerk, Admiralitätstraße 74; Di–Fr 16–19, Sa 12–15, So 14–17 Uhr; bis 24. März
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