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Hasse deinen Nächsten wie dich selbst

■ Starautor Marius von Mayenburgs jüngster Streich im Jungen Theater: Eine eindringliche Lehrstunde in menschlicher Parasitologie

Eigentlich wollen sie doch alle nur einen einzigen geglückten Tag, und das schon ewig. Aber das Schicksal meint es nicht gut mit den fürchterlichen Fünf da auf der Bühne, dem schrägen Holzpodest mit schäbig-beigem Plasti-Küchenbodenbelag: Ringo sitzt nach einem Unfall gelähmt im Rollstuhl, die Sehnsucht nach draußen tilgt er mit dem Fernglas. Betsi, seine devote Freundin mit Helfer-Syndrom, pflegt ihn bis zur Selbstaufgabe. Die Wohnung der beiden wird zum Käfig für alle Beteiligten, die während der gesamten Inszenierung alle anwesend sind. Friederike, Betsis hochschwangere und höchst suizidgefährdete Schwester findet Unterschlupf, ihr Freund Petrik stellt ihr nach, und auch der alte Multscher, der Ringo überfahren hatte, lungert hier herum, weil ihn die Schuldgefühle zerfressen.

Dabei wird das Dilemma ihrer symbiotischen Verhältnisse aufs Krasseste verdeutlicht: Sie hassen und sie brauchen sich, ihre Sprache wird zum Folterinstrument für das Gegenüber. Ein hochkonzentrierter Blick auf menschliche Psycho-Grausamkeiten ist Marius von Mayenburgs „Parasiten“, eine Art „Geschlossene Gesellschaft“ für die Jetzt-Zeit.

Friederike (Andrea Liebezeit) etwa – „Ich bin mein eigener Fehler“ – ist ziemlich durch mit den Nerven, schlägt ihren Kopf auf dem Boden blutig. Sie balanciert somnambul über die Bühnenkante wie über einen Dachfirst, sabbert Theaterblut oder schluckt im „Pillen-Monolog“ unzählige Schlaftabletten – alles Hilfeschreie an ihren Freund Petrik, der lieber seine Schlange füttert und ihr vor dem geplanten Freitod noch aufträgt: „Kannst den Müll gleich mitnehmen, wenn du sowieso runter gehst.“

Marius von Mayenburgs konsequente aber schier unerträgliche Reduzierung menschlicher Beziehungen aufs Elend war Grund genug für Ralf Knapp, „Parasiten“ ein bisschen zur Groteske überzuzeichnen. Eingespielte, verzerrte Sitcom-Lacher bei Friederikes Selbstverletzungs-Akt sorgen genauso für Distanzierung von der ausweglosen Tragik, wie Ursula Renneke als Betsi, die vor lauter Demut vor Ringo derart unbeholfen mit den Armen durch die Gegend schlackert, einknickt und hysterisch plappert, dass sie grandios-komisch an Comicfigur Olivia (Seemann Popeyes bessere Hälfte) erinnert.

Trotzdem eine konzentrierte Inszenierung, die sich auf die Kraft von Mayenburgs düsteren Lautmalereien verlassen kann und mit wenigen Gimmicks auskommt. Eines ist Petriks Schlange, die nur auf einem Fernsehmonitor zu sehen ist und so ein unerreichbares Ersatzobjekt für Liebe bleibt. Oder die giftgrüne Farbe als Symbol für Kotze, die Ringo kommentarlos über die Fläche kippt, wenn Friederike nach dem Pillenschlucken zusammengebrochen ist.

Anfangs fällt es ein bisschen schwer ins Stück hineinzukommen, denn wie ins kalte Wasser wird das Publikum in die Situation der verbalen Selbst- und Fremdverletzungen der Figuren geworfen. Die Geschichte hat keinen Anfang, alles war schon immer so, nichts wird vom Autor verurteilt oder psychologisch gerechtfertigt. Doch schnell verdichtet sich die Situation, man wird hineingezogen und die meisten Lacher bleiben im Halse stecken.

Zum Ende hin wird's so bitter, dass sich die Figuren selbst halb totlachen über ihre Sätze, die eigene absurde Realität. Ein bisschen erinnert das an eine Persiflage auf „Fünf Freunde“, die sich nach bestandenem Fernseh-Abenteuer immer dämlich lachend in den Armen lagen.

Doch gar nichts wird hier gut: In tiefster Dunkelheit hört man nur noch die Stimme Friederikes, die verzweifelt durch den Raum nach Petrik jammert. Keine Anwort, sie bleibt allein – und allein in der Hölle zu sein, das ist noch viel schlimmer als im Kreise der vier Intimfeinde.

Roland Rödermund

Nächste Vorstellungen: Heute bis Sonntag und vom 19. bis 24. März, immer um 20.30 Uhr im Jungen Theater. Karten-Tel.: : 700 141.

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