: Licht aus dem Osten
Kurdisches Liedgut aus dem Uni-Hörsaal: Kardeș Türküler, einst von Studenten aus Istanbul gegründet, öffnen mit ihrer Musik ein Fenster nach Anatolien. Heute gilt das 20-köpfige Ensemble als Vorreiter der türkischen Neo-Folk-Szene
Weil die autoritäre Politik des türkischen Staates auch vor den Universitäten nicht Halt macht, entscheiden sich dort seit den Achtzigerjahren viele Studenten, ihre politischen Ansichten über den Umweg Musik zu artikulieren. Als Pionier dieser Bewegung gilt die Band Grup Yorum, die sich bis heute durch Pathos und Parolen und weniger durch ihr musikalisches Können profiliert. In ihren Produktionen, deren Niveau an ambitionierte Schulbands erinnert, besingen sie einen politischen Widerstand, der immer unsichtbarer wird.
Sie sind kein Einzelfall: Seit den 80er-Jahren unterhält jeder linke Zusammenhang eine Hofband. Deren Musiker rekrutierten sich oft aus Fachbereichen, wo man musikalisches Talent nicht unbedingt vermutet. Aber wichtiger als musikalische Skills waren ohnehin andere Kriterien, meist politische. Für ambitionierte Mitglieder solcher Bands wurde das auf Dauer zu viel. Sie entschieden sich für Solokarrieren. Und manch einer konnte mit eigenen Produktionen demonstrieren, dass musikalischer Anspruch und politische Inhalte keine Gegensätze sein müssen.
So wie die Ende der 80er-Jahre von Studenten der Bosporus Universität Istanbul gegründete Band Kardeș Türküler, die sich von Anfang an nicht von Political Correctness hat leiten lassen – ein ziemlich mutiges Unterfangen, das dazu führte, dass sie vor allem durch ihre Musik auf sich aufmerksam machten und nicht nur mit ihren Texten oder politischen Ansichten.
Schon in ihrer ersten Produktion „Kardeș Türküler“ (1997) deutete das 20-köpfige Ensemble an, dass man mit dem Einsatz unterschiedlicher Instrumente, vielseitigen Arrangements, Rhythmusexperimenten und der Vielsprachigkeit Anatoliens einen eigenen Stil kreieren kann. Das Spiel mit moderner Folk- und Protestmusik verknüpfte Kardeș Türküler mit einer bis dahin unbekannten Lässigkeit, mal mit eigenen Songs, mal mit neuem Zugriff auf alte anatolische Lieder. Auch auf ihrem zweiten Album „Dogu“ (Osten) führten sie diesen Ansatz konsequent fort. Und spätestens mit „Dogu“ bildete sich nicht nur in der Türkei eine immer größer werdende Fangemeinde. Auch auf jeder mültikültürellen Party in Berlin wird seit einiger Zeit mindestens einmal ihr Hit „Kara Üzüm Habbesi“ gespielt. Der Videoclip zu diesem Song wurde in der Türkei nicht ausgestrahlt: Die TV-Stationen und die staatliche Zensurbehörde waren über „kurdische Motive“ pikiert. Von solcher Ewiggestrigkeit ließen sich Kardeș Türküler jedoch nicht einschüchtern und traten demonstrativ auch auf politischen Festivals auf.
Aus den ehemaligen Campusmusikern ist heute eine populäre Folkcombo geworden, die mit ausverkauften Tourneen, Auftritten im Ausland und Auszeichnungen von sich Reden macht. Das machte Kardeș Türküler auch für die Kulturindustrie attraktiv: So engagierte Yilmaz Erdogan die Band, damit sie für sein Kinoschlager „Vizyontele“ (2001) die Filmmusik beisteuern. Und auch Siwan Perwer, der Superstar der populären kurdischen Musik in der Türkei, bat vor zwei Jahren Kardeș Türküler ins Studio. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit, „Roj û Heyv“ (2000), gehört zu den besten Alben des kurdischen Springsteen. Die Aufnahmen mit Perwer haben bei Kardeș Türküler ihre Spuren hinterlassen: Seitdem beginnen die Istanbuler ihre Konzerte meist mit „Mirkut“, einem Stück aus dem erwähnten Album. Vermutlich geht’s auch an diesem Freitag, wenn Kardeș Türküler erstmals in Berlin auftreten, mit dieser ein wenig an Rap erinnernden Einlage los.
IMRAN AYATA
Kardeș Türküler, heute ab 20 Uhr im Sendesaal des SFB
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