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Pleite mit dem Rundum-Wohlgefühl

taz-Serie „Die Profiteure“ (Teil 5): Nach dem Fall der Mauer träumte der damalige Bausenator Wolfgang Nagel von 50.000 Wohnungen in der Wasserstadt Spandau. Heute ist sie eins der Milliardenrisiken der Bankgesellschaft Berlin

„Jetzt hat die Stadt die teuren Grundstücke an der Backe und wird sie nicht mehr los“

von WALTRAUD SCHWAB

Zwischen Hochglanzbroschüre und Wirklichkeit liegt das kaum beackerte Feld der Enttäuschung. Costa del Sol, Costa Brava, Wasserstadt Spandau machen es vor. Auf den Fotos stehen die Häuser vor blauem, niemals wolkenverhangenem Himmel. Seeblick ist garantiert. Das Wasser ist glasklar, Motorboote sind nicht in Sicht. Auch nicht die Straße vor dem Haus und die Disco daneben. Die Einflugschneise des Flughafens wird von der Kamera ohnehin nicht erfasst. Gern lassen sich Bildersüchtige auf diese Weise verführen.

Hubert, der Taxifahrer, Spandauer in der siebten Generation, sieht es genauso. Seinen wirklichen Namen will er nicht nennen, aber mit den Verlockungen der Wasserstadt kennt er sich aus. Er hat sich dort Wohnungen angeschaut: „Traumhaft schön geschnitten sind sie“, aber der Rest: „Finster!“ Die Fenster geben den Blick frei auf die gegenüber liegenden, dunkelrot verklinkerten Wohnblöcke. „Was nützt es, wenn ich weiß, dass hinter dem Haus, das vor meinem Balkon steht, der See liegt?“ Schulterzuckend fährt er in die Sackgassen, in denen er fast heimisch geworden wäre, an deren Ende noch immer „totes Gelände“ liegt.

Vor mehr als zehn Jahren wurde eine Kleinstadt am Wasser rund um den Spandauer See und die Insel Eiswerder geplant. Der damalige Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) sprach von einem neuen Zuhause für 50.000 Menschen. Auf 206 Hektar alten Industrieflächen sollten 18.000 Wohneinheiten entstehen. Ein Rundum-Wohlgefühl am Wasser wurde heraufbeschworen. In der Fantasie des Senats war Berlin mit dem Mauerfall über Nacht zur Boomtown geworden. Demoskopische Prognosen und der notorisch enge Westberliner Wohnungsmarkt wurden gekoppelt, ohne einen Blick zu werfen auf die Möglichkeiten, die Ostberlin und das Umland plötzlich boten. Überzogen und am Bedarf vorbei geplant sei das alles, warnten Kritiker schon damals.

Die ehemaligen Gewerbegebiete – mitunter mit Umweltgiften schwer belastetes Gelände – wurde teuer aufgekauft, denn weniger als ein Drittel der Entwicklungsfläche war im Besitz der Stadt. Die Idee, dass Investoren Schlange stehen würden, schien unwiderlegbar. Unter dieser Prämisse wurde die Wasserstadt GmbH vom Senat beauftragt, Straßen und Brücken zu bauen, Grundstücke zu kaufen und verseuchten Boden auszutauschen. Die Euphorie kannte kaum Grenzen, meint ein Beamter aus der Bauverwaltung. Die Wirklichkeit hat sie eingeholt. Heute sind ein Drittel der nur noch auf 13.000 Wohneinheiten ausgelegten Wasserstadt fertig gestellt. Neubauareale wechseln sich mit Brachen ab: die alten Sportplatzflächen des Spandauer Fußballvereins, britisches Kasernengelände, auf dem später auch die Schule des Taxifahrers war, die Meiereizentrale, die ehemalige Wetag, Westfälische Transport Aktiengesellschaft, Senatskohlebunker, Mineralöl-Tanklager, Artur Brauners Filmstudios. Hubert kennt alles und zeigt es. Auf einem Grunstück steht ein blau gestrichener Lastwagen verlassen im Matsch. Schutthalden zieren notdürftig umzäuntes Gelände, zerschlagene Fensterscheiben erinnern an die alte Kaffeerösterei. „Jetzt hat die Stadt die teuer gekauften Grundstücke an der Backe und wird sie nicht mehr los.“ Investoren machen sich rar, Eigentumswohnungen verkaufen sich nicht, Luxusresidenzen sind nur halb ausgelastet. Schadenfreude würde schon aufkommen, „wenn der Steuerzahler nicht am Ende doch die Zeche bezahlen müsste“. Denn die überaus kostspielige Erschließung der Wasserstadt, an der die IBG, eine Konzerntochter der Bankgesellschaft, beteiligt ist, ist nun zu einem der Milliardenrisiken geworden, für die Berlin bürgt. Hubert jedenfalls ist schon vor Jahren wütend aus der SPD ausgetreten.

Bescheidene positive Schlagzeilen wurden hier zuletzt vor zwei Jahren gemacht. Drei Straßen im Wasserstadt-Quartier „Maselake-Nord“ wurden nach den Spandauer Partnerstädten Asnières-sur-Seine (Frankreich), Boca Raton (Florida) und Iznik (Türkei) benannt. Kurze Gässchen zwischen eng aneinander stehenden Häuserblöcken. Hubert fühlt sich an Italien erinnert. In seiner Fantasie könnten hier Wäscheleinen von einer Straßenseite zur anderen gezogen werden. Allerdings mache dies in Spandau wenig Sinn. Es regne zu viel. Deshalb hat sich die unbebaute Wiese, durch die die Iznikstraße führt, auch in ein Schlammfeld verwandelt.

Die Scheibenwischer des Wagens kämpfen gegen den Märzregen an. Hubert fährt zum alten Schultheiss-Brauerei-Gelände und hält einen Vortrag über die Straßenbäume. Vielleicht sei es ja ihm zu verdanken, dass nun ein paar gepflanzt wurden. Als er sich die Wohnung anschaute, waren keine geplant. Nur ein Dutzend am Platz, der hier „Plaza“ heißt. Der Taxifahrer zählt sie, als er das steingraue Areal zeigt, und kommt auf neun. Ein alter Mann überquert den Platz und kämpft verbissen gegen den Sturm. Für Gespräch sei der Wind zu stark und die Stimmung zu schlecht. „Einsam kann man überall sein.“ Er wolle aber nicht verhehlen, dass er schon einmal glücklich war hier „an einem Sommertag“.

Geht es nach Hubert, dem Taxifahrer, vermiest die Südbrücke, die die Havelspitze mit dem Haveleck verbindet, endgültig die Stimmung. „Hier ist polnische Grenze.“ Auf dem Bauwerk stehen Wachtürme, die denen entlang der ehemaligen Mauer nachgeahmt sind. Die Lampen an den Decken der verglasten oberen Aussichtsplattformen ersetzen die Straßenbeleuchtung. Es ist Berlins längste und teuerste Brücke. 45 Millionen Mark hat sie gekostet, 18 Millionen zu viel, wie der Rechnungshof Zeitungsberichten zufolge monierte.

Auf der Insel Eiswerder hat der Entwicklungsträger der Wasserstadt ihren Sitz. Die idyllische kleine Insel hat eine industrielle Vergangenheit. Bis auf weiteres werden die hier in das Entwicklungsgebiet aufgenommenen Flächen in Kurzmietverträgen von Fernsehgesellschaften, Kleingärtnern und Tierfutterlieferanten und kleinen Unternehmen zwischengenutzt. An der Brücke zur Insel haben ein paar Fahrgastschiffe ihre Winteranlegestelle. Eines ist die „Berolina“. Ein anderes der „Bär von Berlin“. Unübersehbar aber prangt der Name eines dritten Schiffes als Motto in den regnerischen Himmel. Es heißt „Heiterkeit“.

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