Big in Berlin tonight

Hamburger Schule’s not dead: Die Sterne rocken, wenn sie erst mal anfangen wollen, immer noch jedes Haus. Das war zu Beginn es Konzert noch nicht ausgemacht, aber schließlich siegte der Körper dann doch über den faden Kopf

Meine überarbeitete Begleitung meinte noch in erschöpfter Feierabend-Selbstironie, wie schön es sei, mal wieder unter Jugendlichen zu sein – tatsächlich aber sah es im gut gefüllten Columbia Fritz eher aus wie bei einem Institutscolloquium für Indie-Rock-Postgraduierte. Den Leuten neben mir sei Dank, jetzt weiß ich eine Menge mehr über Freud und Fetische, dazu begann ich mich unter meiner Plastikhornbrille unangenehm am richtigen Platze zu fühlen.

Was folgte, war ein Konzert wie eine Sinuskurve. Nachdem sich das Publikum aus vollkommen unerfindlichen Gründen schon von den unfassbar großartigen Mondo Fumatore nicht hinreißen ließ, drohte der Abend nach Auftritt der Sterne zunächst wirklich ins Rock-Seminar umzukippen, das Referent Frank Spilker immer mal wieder kurz unterbrechen musste, um in seinen Texten nachzuschlagen. Mit den Sternen eine lustige Partykapelle zu erwarten, ist zwar natürlich komplett absurd, trotzdem meldete sich das alte Bedenken zurück, vom mitunter doch recht hermetischen R-’n’-B-Funk der Sterne als in erster Linie zweckdienlichem Vehikel der Spilkerschen Elliptik-Lyrik. Dem stoischen Auftreten der Sterne entsprach diesseits der Bühne ein abwartendes Zugucken, obwohl „Big in Berlin“ als zweites Stück des Konzertes eigentlich schon frühzeitig zu versöhnlicher Enthemmung eingeladen hätte. An sich kein Wunder, so Spilker selber, wenn man so unfair ist, hauptsächlich Stücke aus dem im April erscheinenden neuen Album „Irres Licht“ zu spielen, die eh noch keiner kennt. Bei neuen Sterne-Stücken heißt es ja ohnehin erst mal zuhören und Zitate dechiffrieren. Aber Titel wie „Du hast die Welt in deiner Hand“, das es als Hybris aus gleichnamigem Grundschul-Religionsunterricht-Klassiker, „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“ und einem reichlich cheesigen Shirelles-Beat wohl niemals zur Attac-Hymne bringen wird, können auf ein unvorbereitetes Publikum wirklich ein wenig verstörend wirken. Nebenan beim Fetten Brot war in Sachen jugendlicher Leichtsinn wohl mehr los – siehe Seite 1.

Dann aber setzte mit der Greatest-Hits-Revue von „Universal Tellerwäscher“ bis „Fickt das System“ schließlich doch noch das große Hamburger Schulfest ein, und spätestens zu „Trrrmmer“ und seinem verzückten „Ya-hoo!“-Publikumschorus ging’s ab wie bei Marianne Rosenberg. Am Ende der zweiten Zugabe gab es natürlich „Was hat dich bloß so ruiniert“, das allgemeine Ausrasten und den Beweis, dass auch schwierige Spilker-Texte zum heiteren Mitgröhlen taugen. Braucht es also doch Parolen, wenn auch gewiss keine blöden, um die intellektuell bevorzugte deutsche Hüfte zum Schwingen zu bringen? Muss Pop with Anspruch sich immer der Gefahr aussetzen, auf dem Weg von den Ohren in die Beine im Großhirn stecken zu bleiben? Übertriebene Körperlichkeit ist zwar ihre Sache gewiss nicht, aber die Sterne können, wenn sie denn wollen, rocken wie nichts Gutes. Das nächste Mal zur mentalen Vorbereitung sämtliche CDs anhören und dann auf dem Konzert den durch den Geist befreiten Arsch bewegen. AXEL WERNER