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Diese jubilierende Traurigkeit

Indietronics-Liebhaber unter sich: Was das Solo-Debüt von Neil Halstead, dem Sänger von Mojave 3, so hörenswert macht – Protokoll einer Listening-Session zweier Fans

Man stelle sich vor: Zwei Jungs, so um die dreißig, die vor einer Anlage sitzen. Beide sind ein bisschen schüchtern und sehen ein bisschen blass und ungesund aus. Ihr Jurastudium haben sie erfolgreich beendet, liebäugeln aber damit, was völlig anderes zu machen, Medienbranche oder Film vielleicht. Ihren Platz im Leben haben sie noch nicht so richtig gefunden.

Was aber ihren Musikgeschmack betrifft, kennen sie keinen Zweifel, seit Jahren schon. Sie sind Indierock-Fans, besser gesagt: Indietronics-Liebhaber. Neben Mogwai steht der Backkatalog von Morr Music, und die Vorliebe für My Morning Jacket steht der für die Musik eines Labels wie Traum nicht im Weg. Es geht an diesem trüben Sonntagnachmittag schnell zur Sache: Die Begeisterung für die viele neue und schöne Musik, von der sie dem jeweils anderen erzählen und die sie vorspielen wollen, verträgt sich nicht mit konzentriertem, andächtigem Hören. „Ja, super, aber du musst noch diesen Remix von Console hören, „Neon Golden“ von Notwist.“ – „Ja, klingt toll, schön, etwas anders als auf dem Notwist-Album. Aber sag, hast du schon die neue Scott 4 gehört?“ – „Nee, die muss ich mir noch besorgen, die soll ja ganz groß sein, so Traffic-mäßig. Kennst du dieses Album hier, von Neil Halstead, „Sleeping On Roads“, sein erstes Soloalbum?“ – „Neil Halstead? Wer ist das denn? Kommt der aus Norwegen? Tellé-Rercords oder so? Da kommt ja im Moment viel Gutes her.“ – „Nein, ganz falsch, England. Den müsstest du eigentlich kennen, Halstead hat früher bei Slowdive gespielt und dann bei Mojave 3.“ – „Ach ja, Slowdive, von denen fand ich ja die erste ganz toll, ‚Just For A Day‘ hieß die, glaube ich. Danach hat mich das aber genervt, dieses Elegische und Versunkene, was die so hatten, so ein richtiger 4-AD-Act war das. Hatte man schnell über. Mojave 3 habe ich dann gar nicht mehr weiterverfolgt.“ – „Das Album von Halstead aber ist anders, viel lockerer und ungezwungener. Das hat er eingespielt, als ihm seine Wohnung abgebrannt ist. Da hat er in seinem Studio gewohnt und Stücke für Mojave 3 eingespielt. Das waren dann aber zu viele, und er hat sich überlegt, die solo zu veröffentlichen. Das ist jetzt alles eher so Singer/Songwriter-mäßig, ganz ohne Flächen: Hier, hör mal, wie beschwingt das ist.“

Beide hören dann „Seasons“, das erste Stück des Albums, es folgen die Lieblingsstücke des einen Jungen, „Driving With Bert“, „See You On Rooftops“ und „High Hopes“, jedes für 1, 2 Minuten. „Ja, toll. Die Stücke haben trotzdem noch so eine bestimmte Traurigkeit, oder?“ – „Ja, das liegt wohl an der Stimme von Halstead. Ist aber mehr so eine heitere, irgendwie jubilierende Traurigkeit. Schöner Folk, und trotzdem sehr englisch. – „Die hole ich mir morgen auch.“ GERRIT BARTELS

Neil Halstead spielt am Dienstag, dem 19. 3., ab 21 Uhr im Knaack-Club, Greifswalder Straße 221, Prenzlauer Berg.

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