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„Im Zweifel für die Sorgfalt“

Verlängerung bei der Senatsklausur zum Haushalt 2003/2003. Die Sitzung war in der Nacht zum Montag vertagt worden. CDU und FDP kritisieren Regierenden Bürgermeister

Theater? Sozialhilfe? Schule? Wissenschaft? Wo der rot-rote Senat im Detail wieviel spart, wird sich voraussichtlich erst heute klären. Gestern am späten Nachmittag gingen die acht Ressortchefs mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) im Grunewalder Senatsgästehaus in die Verlängerung ihrer Klausurtagung, die sie in der Nacht zum Montag unterbrochen hatten. Das Prinzip: Streichen, bis die Milliarde voll ist. Diese Zahl hatte PDS-Fraktionschef Harald Wolf am Wochenende genannt. Wowereit sagte dazu, der Betrag könnte diese Größenordnung haben.

Bis halb drei hatte die Senatsrunde mit Fraktionsvertretern von SPD und PDS in der Nacht zu Montag getagt und dann unterbrochen. „Von der Kondition hätte man noch weiter machen können, aber dadurch werden die Ergebnisse nicht besser“, sagte der stellvertretende Senatssprecher Günter Kolodziej. Ursprünglich sollten bereits am Sonntagabend die Zahlen für den Haushaltsentwurf 2002/2003 vorliegen. Kolodziej mochte die Verzögerung als Zeichen großen Verantwortungsgefühls verstanden wissen:„Die Diskussion lief unter dem Motto: Im Zweifel für die Sorgfalt.“ Wowereit hatte schon am Sonntagabend ein Türchen für eine Verlängerung offen gelassen: Es mache keinen Sinn, Beschlüsse zu fassen, „die dann am Montag zerredet werden und am Dienstag keinen Bestand mehr haben.“

In der Folge konnte der Senat zwar keinen Haushaltsentwurf wasserdicht machen, erreichte aber zumindest vorübergehend mannschaftliche Geschlossenheit. Keine neue relevante Zahl sickerte bis zur Wiederaufnahme der Verhandlungen durch. Dass bei Kultur und Wissenschaft rund 170 Millionen Euro eingespart werden sollen, hatte die taz exklusiv bereits vor der Klausur berichtet. Auch die Aussagen der Beteiligten glichen sich. „Alle arbeiten mit, keiner mauert“, wiederholte SPD-Fraktionschef Michael Müller gestern fast wörtlich eine Aussage von Wowereit vom Vortag.

Bevor der Senat gestern wieder hinter den zweieinhalb Meter hohen Metallgittern des Gästehauses in Klausur ging, musste die Finanzverwaltung ranklotzen. Prüfaufträge seien erteilt worden, hieß es offiziell. Im Klartext: In der Klosterstraße mussten die Haushaltsexperten der Behörde den Zwischenstand der vorangegangenen Nacht in klare Zahlen bringen und neue Varianten durchrechnen. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) sagte währenddessen zwei vorher vereinbarte Rundfunkinterviews ab. Der 57-Jährige wolle einfach ausschlafen, berichtete das Deutschlandradio.

Die Klausurtagung wurde nicht allein wegen der nötigen Zuarbeit der Finanzverwaltung, sondern auch wegen fester Termine des Senats erst am späten Nachmittag fortgesetzt. Klaus Wowereit etwa verlieh am Vormittag die Ehrenbürgerwürde an Egon Bahr, den SPD-Architekt der Ostverträge, Innensenator Ehrhard Körting saß über Stunden im Innenausschuss.

Während Sarrazins Finanzfachleute noch rechneten, griffen CDU und FDP den Regierenden Bürgermeister scharf an. Wowereit sei verantwortlich für ein Jahr Stillstand in Berlin, für das Ende von Privatisierung und Entbürokratisierung sowie für die Blockade von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen, kritisierte der Fraktionschef der Christdemokraten, Frank Steffel. Offenbar habe der Regierungschef nicht einmal die Zahlen im Griff. FDP-Landeschef Günter Rexrodt bezeichnete Wowereit als „politisches Leichtgewicht ohne Visionen und Ideen“. Statt dessen trete er als reiner Mängelverwalter auf. Das Parlament soll den Haushaltsentwurf nach Vorstellungen von Sarrazin ab dem 18. April zwei Monate lang diskutieren und am 27. Juni beschließen. STEFAN ALBERTI

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