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Virtual Transfer

Die erste nicht wirklich misslungene Adaption der Game-Logik: In Paul Andersons Film „Resident Evil“ gibt es keinen Anfang, keinen Verlauf und kein Ende – nur Levels, in denen das pure Überleben zählt

Anthrax macht’s möglich: Die Zombies kommen wieder aus der Bakteriologie

von SEBASTIAN HANDKE

In den letzten Jahren hat es einige Reanimationen untoter Genres gegeben. Für entsprechende Sachzwänge sorgten unter anderem die Effektkünste neuer, bildgenerierender CGI-Rechner. Kein Wunder also, dass neben dem Comic auch das Videospiel immer häufiger zur Filmvorlage taugen soll.

Auch der nekromane Horror gesellt sich zu den Wiedergängern. Über das sechzehnmillionenmal verkaufte Computergame „Resident Evil“ bahnen sich die Zombies ihren Weg auf die Leinwand zurück, nachdem 1985 mit George A. Romeros „Day of the Dead“ nicht nur dessen klassisch gewordene Trilogie, sondern auch die Erfolgsgeschichte des Zombiefilms zu Ende gegangen ist. Nur Peter Jackson organisierte 1992 mit seiner Genre-Parodie „Braindead“ noch mal ein kurzes Auferstehen. Eben der Jackson übrigens, der mit „Herr der Ringe“ das Fantasy-Genre zum Mainstream erhob.

Bei der Erschließung des neuen Publikums geht es um Werktreue, das gilt für Zombies ebenso wie für die filmische Adaption von Harry Potter. Im Falle von „Resident Evil“ handelte man sich in doppelter Hinsicht Schwierigkeiten ein. Zombie-Genre und Computerspiel: Da müssen gleich zwei hochsensible Nerd-Szenen mit dem Mainstream versöhnt werden.

Dass sich zunächst Zombiefilm-Altmeister Romero mit dem Drehbuch herumschlug, wurde in Fankreisen daher mit Entzücken aufgenommen. Als der aber passen musste und Paul Anderson das Heft in die Hand nahm, machte sich Unruhe breit, denn von Andersons „Event Horizon“ fühlt die Szene sich heute noch beleidigt. Doch Anderson versprach, ganz nahe an der Vorlage zu bleiben.

Als ob die Übertragung eines Computerspiels auf die Kinoleinwand jemals eine gute Idee gewesen wäre. Im Spiel ist der Erlebende selbst den Widerständen ausgesetzt. Dem von Entscheidung zu Entscheidung hetzenden Spieler zwingt der Code Handlungen auf, man nimmt das typische Wechselspiel von Überraschung und Redundanz hin, das ja auch eine Konzession ist an die jeweils vorauszusetzende Rechenleistung der Konsole.

Im Kinosaal dagegen wird eine andere Rezeptionshaltung eingenommen. Der festgeschriebene Fortgang des Geschehens lässt Freiheit für das Gedankenspiel des Zuschauers, dessen Rechenleistung ja immer noch entscheidend über der Konsole liegt. Das verlangt nach komplexerer Programmierung. Und tatsächlich beginnt „Resident Evil“ so, als hätte Paul Anderson die Transferbedingungen beherzigt.

Im geheimen Forschungszentrum „The Hive“ sterben in kurzer Zeit sämtliche Mitarbeiter. Die Erzählperspektive ist gut gewählt – es ist die des Mörders. Wir beobachten das Töten mit den Überwachungskameras der Red Queen, der zentral steuernden Künstlichen Intelligenz. Wenn die Angestellten direkt vor den Kameras flehen, aktivieren sie nur die Erfassung durch die Gesichtserkennung – ein wunderbar zynischer Einfall. Es folgen der unvermittelte Schnitt in ein einsames Herrenhaus, eine amnestisch veranlagte Milla Jovovich (als zärtliches Pendant zu Sigourney Weaver), brutales Eindringen einer rüstigen Spezialeinheit, unterirdische Zugfahrt, schließlich die überraschende Eliminierung fast aller Sympathieträger auf dem Weg in das Red Queen Chamber. Hinreichende Unruhe und eine komplette Verwirrung der Zuschauer machen filmischen Suspense möglich.

Dann aber wechselt die Erzählweise zurück in den Spielmodus, freilich ohne uns vorher eine Spielsteuerung in die Hand zu geben. Es schlägt die Stunde der lebenden Toten, und der Film rastet ein in das Schema des Ego-Shooters: Hinter jeder dunklen Ecke wartet eine unangenehme Überraschung. Das vom Spiel übernommene Muster des „Survival Horror“ hat keine Tagseite, keinen Verlauf und natürlich auch kein Ende – nur Levels, in denen das Überleben zählt. Anderson ist eher Designer als Regisseur, und die kühlen und klaustrophoben Oberflächeneffekte verraten das Geld und die Mühe, die darin verbrannt wurden. Es bleiben wenige Höhepunkte (sehr fein: gehäutete Dobermänner). Nervenkitzel erzeugt allein das nicht eben sublime Sounddesign. „Resident Evil“ ist die erste nicht misslungene Adaption der Game-Logik. „Alien“ konnte das aber besser, und da gab's die Spiele erst hinterher.

Die Untoten übrigens waren auch schon mal zukunftsträchtiger. Im Star-Trek-Universum sind die Borgs ja nichts anderes als eine kühne Kreuzung des Zombies mit dem Cyborg. Im Zeitalter von Anthrax wurde der Zombie in den wieder etwas prominenteren Bereich der konkreten Bakteriologie zurückversetzt und ein Infektionsverlauf erfunden, der die Untoten auch für untrainiertes Publikum nicht allzu abstoßend aussehen lässt. Das Untotsein als Krankheitsbild: durch Biowaffen pervertierte Natur statt afrikanischer Voodoo-Zauber. Es war abermals Romero, darin der Spielberg der Splatters, der dem Genre Kritik und Utopie einimpfte. Der stumpfe, hilflose Kollektivismus nach Fleisch gierender Menschmonster bot sich dazu an. Kurzzeitig plante er gar eine Allegorie über Aids, doch da kamen ihm wohl Francis Ford Coppola und sein untoter Graf Dracula zuvor.

Von solcherlei Tiefsinn bleibt man im Falle von „Resident Evil“ verschont. Doch der Topos wirkt nach. Die Red Queen ist nicht Feind, sondern zynischer Schiedsrichter (später gar: Komplize). Die Untoten ihrerseits treten zwar auf als schnell sich ausbreitende Plage aus Pandoras Büchse. Doch eigentlich sind sie die klassischen Loser; hochgradig lästige, Krawatte und Laborkittel tragende Modernisierungsverlierer, die mit ihrer gesichtslosen Aggression noch einmal eine Stunde lang so richtig nerven dürfen.

„Resident Evil“. Regie: Paul Anderson. Mit Milla Jovovich, Michelle Rodriguez, Heike Makasch u. a., USA/UK/Deutschland 2002, 100 Min.

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