: Crossover Classic
■ Seltene Konservierungsleistung: Hamburger Konzerte Friedrich Guldas mit dem NDR-Sinfonieorchester auf CD
Was waren das für Zeiten vor rund 30 Jahren, als einer der größten Pianisten des 20. Jahrhunderts, Friedrich Gulda, sein Publikum zwischen Bach und Mozart mit Pop-Balladen oder allerlei Jazz-Improvisationen überraschte. Später, in den Neunzigern, wusste das Gulda-Publikum, was es in seinen Konzerten an kaum zu Erwartendem zu erwarten hatte: leicht verrückte Kompositionen des inzwischen zum Crossover-Guru gewordenen Wieners, die einzigartig in der Musikwelt geblieben sind in ihrer Mischung aus allerlei normalerweise nicht recht zusammen Passendem.
Friedrich Guldas gelegentlich durchaus fragwürdige Second-Hand-Klänge à la Beethoven oder Brahms, verschnitten mit allerlei poppigen und jazzigen Klängen verschiedenster Art, erhalten durch des Komponisten eigene Urmusikalität als Pianist eine Wirkung, der sich kaum jemand entziehen kann.
Doch wie immer man den Rang von Guldas Kompositionen auch einschätzen mag: Da er seine Musik immer mit der virtuosen Lust eines Tastenzauberers spielte, bleiben Aufzeichnungen solcher Konzerte immer Zeugnisse höchster unterhaltender Musikkultur. So auch der gerade veröffentlichte Mitschnitt von Guldas letzten Konzert in Hamburg im Jahre 1993 mit seinem Concerto for Myself. Ein Genuss und Spaß sondergleichen, der sogar die mäßige, reichlich knallige Aufnahmetechnik des NDR vergessen lässt.
Bliebe noch zu erwähnen, dass auch das zweite Werk dieser CD, Beethovens 4. Klavierkonzert, pianistisch kaum zu übertreffen ist. Wie innerlich vibrierend und hoch dramatisch Gulda dieses Konzert nicht nur im dafür bekannten zweiten Satz spielt, das hat man bisher kaum je gehört. Dabei schielt Gulda keinen Moment nach oberflächlichen Effekten. Er dringt vielmehr immer in die Tiefe dieses so zwiespältigen Konzertes ein, lotet die Musik dabei bis in die entlegensten Winkel der Partitur aus, ohne sich andererseits dem inneren Fluss dieser Musik zu verschließen. Und an Klarheit, Differenziertheit sowie Pointiertheit kann es ohnehin kaum ein anderer Pianist mit ihm aufnehmen.
Mit einem besseren Dirigenten als ihm selbst wären die Aufnahmen des sehr beachtlich, aber leider nicht auf Weltniveau spielenden NDR-Sinfonieorchesters allerdings noch besser geworden. Trotzdem: eine CD, die in keiner Sammlung fehlen sollte. Reinald Hanke
NDR-Sinfoniorchester/Friedrich Gulda, Concerto for myself, NDR Klassik Edition Extra, Best.Nr. 20203, 13,- Euro Bestellung unter Tel. 01805-117757
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