: Sie schnappt sich den Kerl
Wenn die Nacht hereinbricht in L. A., dann kommt die Rächerin: Warwick Collins schreibt einen Female-Revenge-Roman, der auch als Gender-Comic funktioniert – „Fuckwoman“
„Fuckwoman“ von Warwick Collins liest sich ungefähr so, als hätte Thomas Meinecke vom Goldmann Verlag den Auftrag bekommen, „Tomboy“ noch einmal neu zu schreiben. Hören Sie, Herr Meinecke, das mit den Geschlechterfragen, alles in Ordnung – nur lassen Sie diesen ganzen theoretischen Kram weg, erzählen Sie stattdessen eine Story.
Und die geht so: Fuckwoman, die Heldin des Buchs, ist eine weibliche Version von Superman. Im bürgerlichen Leben heißt sie Cynthia LeLague und ist Reporterin für eine große Tageszeitung von Los Angeles, doch wenn die Nacht hereinbricht und dunkle Gestalten auf den Straßen die Macht übernehmen, streift sie durch die Gegend, um den Armen beizustehen, den Hilflosen zu helfen, die Bösen zur Strecke zu bringen. Wann immer ein neuer Vergewaltiger irgendwo im Moloch L. A. sein Unwesen zu treiben beginnt, taucht Fuckwoman auf, schnappt sich den Kerl, unterwirft ihn Ritualen sexueller Erniedrigung und lässt ihn gefesselt liegen.
Nun lässt sich keine Polizei der Welt gerne die Arbeit abnehmen, und so ist der große Gegenspieler von Fuckwoman der Chefpsychiater des LAPD, Dr. James Holocenter. Auch Holocenter ist im Grunde eine Comicfigur, der böse Wissenschaftler, der in Wirklichkeit Daten für ein menschenverachtendes Gehirnforschungsprogramm sammelt. Anstatt sich um die Vergewaltiger zu kümmern, verkündet Holocenter, Fuckwoman sei das eigentliche Problem, weil sie durch ihr selbst ermächtigtes Handeln die Regeln des Rechtsstaats verletze und so noch mehr Gewalt heraufbeschwöre. So weit, so gut. Beide Figuren bekommen vom Erzähler weder Vergangenheit noch Psychologie verpasst. All diese Dinge, die man gemeinhin unter Identität zusammenfassen würde, erfährt man nur als medial oder polizeiwissenschaftlich vermittelt. Also aus dem Fernsehen, vor dem Cynthia die Auftritte Holocenters anschaut, oder aus den Monologen Holocenters, in denen er ein Profil Fuckwomans erstellt.
Die Sympathien sind eindeutig verteilt – was auch daran liegt, dass Collins sich jedes Mal, wenn Fuckwoman zuschlägt, auf die Formel beschränkt, sie habe den mutmaßlichen Vergewaltiger „sexuellen Demütigungen“ ausgesetzt: Was sie genau mit ihm anstellt, erfahren wir nicht. Zuviel sexuell eindeutige Körperlichkeit hätte wahrscheinlich das Konzept des Romans gesprengt, allen Festschreibungen möglichst lange auszuweichen.
Nun ist „Fuckwoman“ nicht nur ein Gender-Roman. Ein zweiter wichtiger Strang ist die Frage, inwieweit Selbstjustiz zu rechtfertigen ist: Wenn die Polizei unfähig oder unwillig ist, einen Vergewaltiger zu fassen, darf jemand wie Cynthia LeLague sich den Typen schnappen? Eigentlich möchte Warwick Collins die Frage, ob Female Revenge nun zu billigen ist oder nicht, genauso in der Schwebe lassen wie die Identitätskonstruktionen seiner Protagonisten. Doch wer eine Geschichte erzählen will, muss sich irgendwann entscheiden, wo er mit ihren Protagonisten hinwill. Ins Gefängnis? Auf den Chefsessel? Ins Altersheim?
Und die Art, wie Collins „Fuckwoman“ dann zu Ende bringt, macht das Buch zu einer eher zwiespältigen Lektüre. Zugunsten des Autors könnte man annehmen, das Lektorat habe ihn angerufen und gesagt: Okay, Fuckwoman sitzt im Knast und ist damit in der Gewalt des Psychiaters, gut – aber häng jetzt bloß keine aufwendige Gerichtsverhandlung mehr dran, schreib einen zünftigen Showdown, und das war’s dann. Aber wenn man sich die Biografie von Warwick Collins anschaut – eigentlich hat er Biologie studiert, aber dann doch lieber Gedichte geschrieben, eigentlich ist er ein Linksliberaler, aber dann hat er doch für Margaret Thatcher Liberalisierungsprogramme verfasst, eigentlich ist er Schriftsteller, aber er hat schon zweimal den Atlantik in einem Segelboot überquert –, dann könnte man ihn auch für die britische Ausgabe des typischen Querdenkers halten: Das ganze Buch über einigermaßen kontrovers tun, aber wenn es gilt, sich zu entscheiden, in einfachen Populismus verfallen.
Wenn am Ende die queer community gemeinsam mit dem Bürgermeister und einem konservativen Verleger Fuckwoman aus dem Gefängnis befreit, dann ist dies unter veränderten Vorzeichen das fast schon klassische Bündnis von Mob und Elite, das die durchaus komplexen Fragen, die der Roman vorher angerissen hat, in die Tonne tritt. All die Ungleichgewichtigkeiten, deren Beschreibung das ganze Buch angetrieben haben, gelten auf einmal nichts mehr. Auf einmal ist die Welt wieder in Ordnung. Sexismus, Selbstjustiz, Identitätskonstruktionen? Nicht so wichtig. Hauptsache, man hat das Herz auf dem rechten Fleck.
TOBIAS RAPP
Warwick Collins: „Fuckwoman“. Aus dem Englischen von Uda Strätling. Antje Kunstmann Verlag, München 2002, 272 Seiten, 19,90 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen