Hippes Hör-Happening

Ein Fest für die Ohren: Auf der intermedium2 in Karlsruhe präsentiert der Bayerische Rundfunk ab heute das Hörspiel von seiner sexy Schokoladenseite. Ganz im Ernst Jandl‘schen Sinne natürlich

von ANIA MAURUSCHAT

„Offenheit“ scheint das Lieblingswort von Herbert Kapfer, Leiter der Abteilung Hörspiel und Medienkunst des Bayerischen Rundfunks (BR), zu sein. Denn dieses Wort trifft wohl am besten, was von heute bis Sonntag auf dem Festival intermedium2 im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) passieren soll. Parallel zu der Veranstaltung und an den vier darauffolgenden Tagen wird in Deutschland, Österreich und der Schweiz diese Offenheit im Radio zu hören sein. Und im Internet sehen, sogar mitgestalten (Programm: www.intermdium2.de) kann man die 50 Veranstaltungen zwischen Performance, Installation, Hörspiel von über 100 Künstlern aus 15 Ländern sowieso.

Auf die Idee des Hörspiels als Aufhänger für so ein hippes Happening muss man erst mal kommen. Dieser Ausdrucksform haftet trotz – oder gerade wegen – des Hörbuchwunders mit Harry Potter & Co. immer noch häufig der Ruch verstaubter ARD-Funkbehörden an: Nach wie vor sind sie für den Großteil der Produktionen verantwortlich und trauen sich dabei selten über die klassischen Elemente Erzähler, Handlung, Charaktere hinauszudenken.

In Zeiten des medialen Overkills ist das so selbstmörderisch, wie nachts in Schwarz gehüllt auf der Autobahn spazieren zu gehen. Denn weil die meisten Hörspiele auch noch ausgerechnet zur Fernseh-Prime-Time ab 20 Uhr auf unsexy Spartenkulturprogrammen versendet werden, wurde ihre Existenz in der Öffentlichkeit fast gar nicht mehr wahrgenommen. Doch es wird immer sichtbarer, dass in den letzten zwölf Jahren einiges passiert ist, vor allem beim BR. Dass das Hörspiel zumindest in Teilen heute wieder lebendig zum Pulsschlag der Gegenwart tanzt, dafür sorgten dort Künstler wie Andreas Ammer, FM Einheit und Ulrike Haage, insbesondere aber die vitale Münchner Szene rund um Thomas Meinecke und andere Trabanten des Pop/Diskurs/Elektronik-Kosmos.

Allerdings tut sich sogar Festival-Initiator Herbert Kapfer schwer damit, zu sagen, womit man es eigentlich inzwischen zu tun hat. So findet er „Medienkunst“ beispielsweise nicht sonderlich geglückt, „weil das Etikett Kunst dem Ganzen vielleicht einen zu hehren Touch gibt. Und der Begriff Intermedialität hat auch seine Schwächen, aber er zeigt zumindest, dass es darum geht, sich als Produzent für das zu öffnen, was aktuell in den Kunst-, Musik- und Literaturszenen passiert.“ Mit dieser avantgardistischen Haltung stehen Kapfer und seine Mitarbeiter in der Tradition des Schriftstellers Helmut Heißenbüttel, der, so Kapfer, eine der glücklicheren Definitionen prägte: „Das Hörspiel ist eine offene Form. Alles ist möglich. Alles ist erlaubt.“ Abgesehen von den frühen avantgardistischen Experimenten der Dadaisten oder Lettristen fand diese Charakterisierung vor allem Ende der 60er-, Anfang der 70er- Jahre Ausdruck durch das sogenannte „Neue“ bzw. „Freie Hörspiel“ (Ernst Jandl). Diese erste intermediale Phase dauerte nur einige Jahre, bevor das Hörspiel wieder in der Mottenkiste konventioneller Erzählstücke verstaubte. Dies änderte sich langsam, als u.a. Kapfer 1988 vom Jugendprogramm des BR als Dramaturg zum Hörspiel wechselte und gegen das Establishment anstänkerte.

Inzwischen ist die schwammige Kategorie „Pop“ für Kapfer schon seit 1996 wieder “eine abgelegte Debatte“. Denn das Verbindende der zentralen BR-Produktionen der 90er-Jahre sei nun mal das intermediale „Hin-und- her-Springen zwischen allen Kategorien und Disziplinen“, das sich nicht mehr mit dem Akustischen zufrieden gibt, sondern in Zeiten von Digitalisierung und Computer vor allem zum Visuellen strebt. Eine zufällige retrospektive Zusammenstellung dieser Produktionen führte 1999 zur intermedium1, die damals erfolgreich in Berlin stattfand. Weil das Festival jedoch als Biennale ohne festen Ort konzipiert wurde, damit es sich jedes Mal neu erfinden muß, ist das wabernde Quasi-Netzwerk, (schließlich hat es halt doch den BR als festen Kern), diesmal also in Karlsruhe gelandet. Und damit die theoretische Begleitung nicht zu kurz kommt, verpasste man der intermedium2 anders als der ersten auch ein Motto: „X oder 0 – Identitäten im 21. Jahrhundert“, um mittels der intermedialen Kunst Identität als Konstrukt zu untersuchen.

In diesem Sinne wird der ursprünglich bildende Künstler Eran Schaerf seine Radioutopie „Die Stimme des Hörers“ als Installation präsentieren, der Schriftsteller Thomas Meinecke und der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit werden sich und dem Publikum bei einem „Tonkopf-Duett“ Platten vorspielen, um dabei zu ergründen, ob diese wohl als Soundtracks der Identität funktionieren. Und am Sonntag wird abschließend erstmals der mit 12.000 Euro dotierte und vom BR gestiftete intermedium-Preis für eines der präsentierten Projekte verliehen. In zwei Jahren soll die intermedium3 dann auf jeden Fall mit Schwerpunkt in München stattfinden. Und eine intermedium4? Herbert Kapfer: „Vielleicht hat sich diese Kunstströmung der Digitalisierungszeit in fünf Jahren ja erübrigt. Ich kann gut damit leben zu sagen, dann wird sie eben wieder geschlossen.“ Hauptsache, die Offenheit bleibt.