: Wie einst Lili Marleen
Die Diva, wie man sie kennt: Mit seiner Dokumentation „Marlene Dietrich – Her Own Song“ wirft David Riva komplexe Fragen auf, vor denen er sich aber in schlichte Eindeutigkeiten flüchtet
von CRISTINA NORD
Vielleicht ist das Interessanteste an diesem Film, dass Hanna Schygulla Marlene Dietrich die Stimme leiht. Weniger, weil Schygulla es zumindest für begrenzte Zeit zum Star gebracht hat und somit eine Paralle sich ziehen ließe, sondern wegen einer Koinzidenz, die sich um mehrere Ecken spannt: Schygulla gab in Rainer Werner Fassbinders Melodram „Lili Marleen“ die Protagonistin Willie, die in der historischen Figur der Lale Andersen ihr Vorbild hatte. Lale Andersen wiederum war es, die mit dem Lied „Lili Marleen“ zu Berühmtheit gelangte und an der Fassbinder die ambivalente Position einer Unterhaltungskünstlerin im Nationalsozialismus durchspielte.
Nun war Marlene Dietrich weit davon entfernt, Goebbels zuzuarbeiten. Dennoch ist es eben dieses Lied der Lale Andersen, „Lili Marleen“, zu dem Marlene Dietrich immer wieder zurückkehrte und das dementsprechend auch in J. David Rivas Dokumentation „Marlene Dietrich – Her Own Song“ eine Hauptrolle spielt. Es eröffnet den Film und durchzieht ihn. Wieder und wieder sehen wir Marlene Dietrich, wie sie, mal in Uniform auf der Feldbühne, mal im strassbesetzten Kleid im Konzertsaal, vor ihr Publikum tritt und „Vor der Kaserne, vor dem großen Tor“ anstimmt. Dass das Lied der US-amerikanischen Propaganda diente, daraus macht Riva keinen Hehl. Dass es aber zugleich wie eine Spielmarke funktionierte, dass es eben auch die Sehnsüchte deutscher Soldaten stillte, davon schweigt der Film.
Riva ist Dietrichs Enkel und vielleicht schon deswegen nicht dazu in der Lage oder willens, in seinem Film an den Ambivalenzen zu arbeiten. Das wäre nicht unbedingt nötig, berührte Riva nicht unentwegt ambivalente Themen: „Lili Marleen“, das Lied, das den Nazis wie den Alliierten zu Propagandazwecken diente, mag dafür als Pars pro Toto stehen.
Indem der Enkel den Fokus auf Dietrichs Verhältnis zu Deutschland und auf ihren Einsatz für die alliierten Truppen legt, wirft er einige schwierige Fragen auf, die er mit Eindeutigkeiten beantwortet. Mit einer aufdringlich zweidimensionalen Montagetechnik zum Beispiel setzt er klare Zäsuren: Hier die Welt der Marlene Dietrich, umspielt von heiteren Tönen und friedvollen Bildern, dort das Unheil des Weltenlaufs, flankiert von dräuenden Klängen, in den Himmel ragenden Kanonenrohren, im Schlamm drehenden Panzerketten, in den Himmel sich reckenden Hitlergrüßen.
Wenn Riva NS-Propaganda-Material verwendet – was oft der Fall ist –, scheint er zu glauben, dass er es nur mit der richtigen Musik unterlegen müsse, um es zu konterkarieren. Und auf die Frage, warum Goebbels denn nun alles Mögliche tat, um Marlene Dietrich zurück nach Deutschland zu holen und damit der nationalsozialistischen Unterhaltungsindustrie einzuverleiben, weiß er keine echte Antwort. Das Unheimliche daran, dass nämlich möglicherweise in der Selbstrepräsentation der Nazis etwas Universelles lag – eine Art Perfektion in der massenwirksamen Inszenierung, gegen die Hollywood nicht immun sein konnte –, bleibt außen vor.
So zeigt „Marlene Dietrich – Her Own Song“ vor allem, was wir schon kennen: Dass die Dietrich preußisch diszipliniert war und dass sie viele Liebhaber hatte (die Liebhaberinnen nennt Riva nicht). Dass sie Zeit ihres Lebens die Jahre vermisste, in denen sie für US-amerikanische Soldaten an der Front auftrat, und dass sie das Deutschland der Nazis hasste. Schließlich, dass sie die Öffentlichkeit scheute, als sie alt war. Das trägt, weil es schön ist, Marlene Dietrich zuzusehen und zuzuhören. Rivas Verdienst ist das allerdings nicht.
„Marlene Dietrich – Her Own Song“. Regie: J. David Riva. Mit Marlene Dietrich, Jean Gabin, Hildegard Knef u. a., Deutschland 2002, 100 Minuten
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