SCHWARZARBEIT SCHADET – DOCH JEDES LEBEN IST EINE BAUSTELLE: Die Moral der Doppelmoral
Moralische Fragen sind oft doppelmoralische Fragen. Jedenfalls dann, wenn es um den Sozialstaat geht, also um Lohnabzüge auf der einen Seite und Leistungen auf der anderen. Kein anderer gesellschaftlicher Bereich eignet sich so gut zur Betrachtung von Doppelmoral wie die so genannte Schwarzarbeit. Längst bewegen sich die meisten Bürger dabei nämlich in selbst gebastelten Wertesystemen.
Darin gibt es feine Unterschiede. Im Großen und Ganzen gilt Schwarzarbeit dann als akzeptabel, wenn man selbst unmittelbar davon profitiert, wenn Schwarzarbeit als Selbsthilfe betrachtet wird, oft eine Selbsthilfe unter Schwachen. Üblich ist zum Beispiel die Beschäftigung von schwarzarbeitenden Babysittern, von Putzhilfen und Handwerkern. Man lässt oft die Maurer- und meist die Malerarbeiten im eigenen Heim erledigen, ohne dass sie durch die Bücher geht.
Anders ist die Moral, wenn die Bürger von der Schwarzarbeit als Kunde nicht mehr spürbar profitieren. Dann gilt sie als Frevel, der dem Sozialstaat Steuern und Beiträge entzieht und die Löhne kaputt macht. Als verbreitetes Schreckensbild dafür dienen Ausländer, die ohne Arbeitsgenehmigung auf großen Baustellen unter Führung mächtiger Hauptunternehmer ackern. Gegen diese illegale Beschäftigung wendet sich der Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung, der gestern im Bundestag verabschiedet wurde. Er soll Hauptunternehmer bestrafen, deren Subunternehmer für die Beschäftigten keine Sozialversicherungsbeiträge abführen, und Firmen mit Verfehlungen von öffentlichen Aufträgen ausschließen.
Nun hat das Tübinger IAW-Institut aber hochgerechnet, dass Kleinaufträge bis maximal 5.000 Euro rund 70 Prozent der deutschen Schattenwirtschaft ausmachen. Wenn das stimmt, dann kann man nicht nur irgendwelche Baulöwen für die steigende Schwarzarbeit verantwortlich machen, die ein Volumen von 330 Milliarden Euro umfasst. Dann spielen auch die kleineren Kunden eine entscheidende Rolle. Womit wir wieder beim subjektiven Wertesystem des Einzelnen wären.
Wer Schwarzarbeit als Selbsthilfe gegen die Last der hohen Lohn- und Lohnnebenkosten akzeptiert, muss auch die Folgen einkalkulieren. Doppelmoral gehört heute zum Sozialalltag wie die Tricksereien beim Ausfüllen der Steuererklärung. Man sollte sie nicht verurteilen. Aber man muss auch die Verantwortung übernehmen – zum Beispiel dafür, dass der Sozialstaat wegen sinkender Beiträge in Zugzwang gerät. Jedenfalls, soweit Schwarzarbeit die Kassen leert. BARBARA DRIBBUSCH
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