plastiktüten und knalltüten von RALF SOTSCHECK
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In Irland ist seit Anfang des Monats ein interessantes Phänomen zu beobachten: Menschen, die auf ihren Armen Unmengen von Waren balancieren. Manche benutzen die Zeitung als Tablett, auf das sie Milchtüten und Toastbrot, Familienpackungen Kartoffelchips und dreilagiges Toilettenpapier stapeln. Oft genug geht das schief, weil die Leute mangels freier Hand die Autotür nicht öffnen können. Bei dem Versuch, die Schlüssel aus der Tasche zu fischen und mit der anderen Hand die Waren in Balance zu halten, stürzt die Einkaufspyramide unweigerlich zusammen, und das frisch Erworbene landet im Rinnstein.

Die irische Regierung erhebt seit dem 4. März eine Steuer von 15 Cent auf jede Plastiktüte. Für ein Land, das Plastiktüten als Grundrecht wie die Luft zum Atmen betrachtet, ist das ein gewaltiger Schock. Jeder Ire und jede Irin verbrauchen 342 Plastiktüten im Jahr, also fast jeden Tag eine. Bisher wurde alles in Plastiktüten verpackt, von der Zeitung über die Zigarettenschachtel bis hin zu Kartoffeln, obwohl die ohnehin schon in einer Plastiktüte stecken. Selbst wenn man Plastikmüllsäcke kaufte, erhielt man sie in einer Plastiktüte.

So kamen im Jahr 1,2 Milliarden dieser langlebigen Produkte zusammen, insgesamt 14.000 Tonnen. Die Hälfte davon landete auf der Müllkippe, die andere Hälfte auf den Straßen, in den Hecken und auf den Bäumen Irlands. Es gibt keine Nation in Westeuropa, die ihr Land dermaßen systematisch als Abfalleimer benutzt. Weil das dem Tourismus, einer der wichtigsten Einnahmequellen der Grünen Insel, abträglich ist, hat die Regierung diese neue Steuer eingeführt. „Die Tage der Plastiktüte sind gezählt“, sagte Umweltminister Noel Dempsey.

Und er wird Recht behalten, denn wenn die Iren eine Chance sehen, den Fiskus zu umgehen, tun sie es auch. Ein älterer Mann sagte listig: „Die halten mich wohl für bescheuert. Wenn sie glauben, sie könnten mir das Geld aus der Tasche ziehen, haben sie sich geschnitten. Ich benutze einfach keine Plastiktüten mehr.“ Manche sind einfallsreicher: Da lose Waren von der Plastiktütensteuer ausgenommen sind, kaufen sie zur Zeitung oder zu den Gummibärchen einfach noch eine Orange oder einen Champignon, sodass sie alles in der kostenlosen Plastiktüte verstauen können, obwohl darin rechtmäßig nur die Apfelsine oder der Pilz nach Hause getragen werden dürfen.

Aber wer wollte das überprüfen? Die Steuerbehörde hat alle Hände voll zu tun, um den Überblick zu behalten. Vor Einführung der Steuer besuchten Plastiktütensteuerinspektoren jeden Laden in Irland und machten Tüteninventur. Zum Jahresende müssen die Händler dann Rechenschaft ablegen und die Steuer entrichten. Was aber, wenn sie sich illegal Plastiktüten in Nordirland besorgen, wo sie noch kostenlos sind? Müssen jetzt wieder Grenzkontrollen eingeführt werden? Welche Strafe steht auf illegalen Tütenbesitz? Für Umweltprojekte, in die die Steuer fließen sollte, wird nicht viel übrig bleiben. Die Tütensteuer wird für das Knalltüteninspektorat draufgehen.