Übergeben, bedankt – und ab

Bei der 38. Verleihung der Grimme-Preise duftete es erstmals nach Pferdeäpfeln, Harald Schmidt sagt kaum etwas, und Armin Mueller-Stahl spielte Geige. Ansonsten war die Veranstaltung genauso wenig experimentell wie die prämierten Sendungen

aus Marl JENNI ZYLKA

Den beiden bebrillten Anzugträgern hat’s gefallen. „Mal was anderes, ne?“, versichern sie sich immer wieder. Mal was anderes. Mal der angemessene Zirkus für den Zirkus. Mal die Grimme-Preis-Verleihung in einer Manege erleben. Mal stundenlang auf knochenharten Holzbänken hocken müssen. Mal den Duft von Pferden und Pferderesten mit den Chanels No. 1 bis 7 vermischt schnuppern können.

Denn die 38. Grimme-Verleihung fand am Freitag das erste Mal im Roncalli- Zirkuszelt statt, mitten in Marl-Mitte, zwischen Rathaus und dem trostlosen Einkaufszentrum „Marler Stern“. Das Procedere war selbstredend das Gleiche: Es wird begrüßt, vorgestellt, belobt, beklatscht, gewitzelt, gelacht, übergeben, bedankt – und ab. Saufen gehen. Bis auf die Spezialpreise der Jury stand ohnehin schon alles fest, hatten Breloer, Königstein und ihre Mann-Männer und -Frauen sich bereits hinreichend über die neun Goldklumpen mit „der Sollbruchstelle“ (Preisträger Dokumentarfilm) gefreut. Genauso wie Drehbuchautor Daniel Nocke, Regisseur Stefan Krohmer, Hannelore Elsner und Anneke Kim Sarnau für das dogmaähnliche Krebsdrama „Ende der Saison“, genau wie die MacherInnen und DarstellerInnen von „Romeo“, dem Tatort „Im freien Fall“, dem „Tanz mit dem Teufel“, „Wambo“ und den Dokumentationen „Es war einmal in Tschetschenien“, „Die Todespiloten“, „Der Tag, der in der Handtasche verschwand“, „Otzenrather Sprung“, „Roter Stern über Deutschland“ und „Broadway Bruchsal“. Die Damen und Herren hätten also genügend Zeit gehabt, sich mal ein paar anständige Reden auszudenken, nicht immer nur diesen „Ich danke allen, es war toll“-Schmu.

Alsmann sagt Ernstes

Aber das war nicht angesagt. Es soll eben doch alles zumindest ein bisschen so bleiben, wie es ist an Deutschlands Fernsehhimmel, mit Tatorten am Sonntag, Mehrteilern auf Sat.1 und den ernsthaften und ambitionierten Dokus, bei denen Götz Alsmanns Späßchen-Moderationen plötzlich etwas vom Teller lappten: Die Westfalentolle lächelt man gewohnheitsmäßig von vornherein an und muss dann schnell die Mundwinkel einrollen, weil es kein Witz ist, was er über die Kriege in Tschetschenien sagt. Auch Peter Kloeppel, der einen „Spezial“-Preis einheimste, fühlte sich sichtlich unwohl, für den 11. September beziehungsweise seine Folgen beziehungsweise was Kloeppel als RTL-Nachrichten-Mann daraus gemacht hat, ausgezeichnet zu werden.

„Spezial“-Preisträger Harald Schmidt, dessen erste Show nach einer „moralischen 11.-September-Sendepause“ die Jury beeindruckte, reagierte dagegen richtig und sagte schlicht „Danke“. Und ab. Dass der mal seine Klappe hielt, war, wenn man darüber nachdenkt, eines der Highlights. Und dass Armin Mueller-Stahl ein Geigenständchen für die kürzlich verstorbene Erika Mann Borgese brachte, konnte man immerhin sehr gut nachvollziehen: Die Dame war einfach reizend.

Der Grimme-Preis passt zu den Formaten, denen er verliehen wird: Allzu große Experimente werden immer noch nicht gemacht, da war „Ende der Saison“ schon ganz weit vorne. Und irgendwie passt der glänzende Preis auch zum Zirkus Roncalli mit seinem unvermeidlichen Clown, einem dünnen Männchen, glücklicherweise ohne rote Nase, aber mit großen, „lustigen“ Schuhen. Der war zwar ein verhältnismäßig kleines Clown-Übel, aber ein Clown ist ein Clown und damit ein Relikt aus einer Zeit, als der Zirkus auf dem Dorfplatz das aufregendste Ereignis nach der Hochzeit der Bürgermeistertochter war.

Bank drückt Knorpel

Auch der andere Showact, Xavier Naidoo, ließ einen die Holzbank, die einem gerade die Bandscheibenknorpel weich drückt, nicht wirklich vergessen, im Gegenteil. Glücklicherweise hatte Alsmann seine Band dabei, und diesen Sympathen beim Trommeln und Tröten zuzugucken, macht immer Laune. Die Rathaus-Party danach, bei der die Prominenten die Klinke in die Hand der Marler Creme de la Creme und von da aus dann weiter in die der Medienbeobachter drücken sollten, war ein wenig launiges Stehfest mit Drängelwettbewerb und scheußlicher „Mega Dance Hits“-Musik. PreisträgerInnen (wobei man der Vollständigkeit halber feststellen sollte, dass von den 44 nominierten Menschen 12 weiblich sind, davon fünf keine Schauspielerinnen) mischten sich übrigens nicht unter das Büfettambitionen vor sich hinbalancierende Publikum: Die hatten ein eigenes kleines, schlecht belüftetes „V.I.P.-Separee“.

Aber als Harald Schmidt ging, ging nach Meinung der Bodyguards und Veranstalter auch sämtlicher vor dem Fußvolk zu verbergender Glamour mit ihm. Wer wollte, konnte in der komischen V.I.P.-Lounge noch stundenlang Götz Alsmann beim Sozialisieren zugucken. Oder versuchen, einen der Preise zu mopsen, die verloren auf den Stehtischen vor sich hinglänzten.