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Die Erfindung des Authentischen

Russische Suppe „Militärmusik“ heißt das zweite Buch von Wladimir Kaminer. Im Theater von Altenburg und Gera kam jetzt eine szenische Fassung zur Aufführung. Dem Vergnügen des Lesens fügt das Theaterstück nicht viel hinzu, während dem selbstironischen Witz Kaminers die Flügel gestutzt werden

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Zu meinen großen Enttäuschungen nach dem Ende der DDR gehörte, dass sich die Liebe zu Russland und zur Sprache Dostojewskis im anderen Teil Deutschlands als Fake erweisen sollte. Deutsch-sowjetische Freundschaft? Alles nur Propaganda, wurde ein romantisierendes Klischee entlarvt, dessen Fantasien allesamt noch schwer nach 19. Jahrhundert gerochen hatten. Stattdessen machten sich jede Menge Historiker und Künstler über die sowjetischen Hinterlassenschaften in den ostdeutschen Kasernen her und die Zeugnisse des elenden Lebens dort verdrängten die alten Träume.

So gab es nichts Russisches mehr zum Schwärmen, bis Wladimir Kaminer in die Stadt Berlin kam und in der taz und der FAZ vom Leben der neu angekommenen Russen in Berlin zu erzählen begann. Mit seinen Geschichten erhielt man vor allem einen Spiegel, was Deutsche so über Russen, Sowjets und andere Ausländer und Sozialisten dachten; durch diesen Spiegel der Klischees schritt Kaminer wie ein reiner Tor und setzte die Scherben zu wunderbar neuen Bildern zusammen. Wunderbar sind sie unter anderem deshalb, weil sie seinen Lesern das schlechte Gewissen nehmen, noch immer so viel Folklore statt Analyse in der eigenen Imagination zu bewegen. Mit dem Erfolg seiner Lesungen – 150 allein im letzten Jahr – und der Bücher „Russendisko“ und „Militärmusik“ schien die Inkubationszeit vorbei, in der mit der krassen Abwendung von der alten Sowjetunion auch alles Russische verdammt war.

Selbst die Militärzeit ist nun wieder zu einem Thema geworden. Im Theaterhaus in Jena hatte letzten Monat „Wie ich einen Hund gegessen habe“ des russischen Theatermachers Jewgeni Grischkowez Premiere, der in einem Monolog seinen Dienst bei der Flotte im Stillen Ozean reflektiert. Im Theaterverbund beiden thüringischen Kleinstädte Altenburg und Gera folgte jetzt die Uraufführung der „Militärmusik“, die Thomas Roth nach dem Roman Kaminers eingerichtet hat. Regisseur und Autor kennen sich aus der Zeit, als Kaminer als Tontechniker am Berliner Orphtheater, das Roth mit gegründet hatte, arbeitete.

„Militärmusik“ folgt den Stationen eines Schelmenromans von der wunderbaren Geburt des Erzählers, die in jenem Augenblick erfolgte, als der berühmte Astronaut Gagarin mit einem Flugzeug abstürzte, bis zu dem Moment, als die neue Freiheit sehr einfach „als die Freiheit, abzuhauen“ genutzt wurde. Die Geschichte ist als Rückblick angelegt: Ein Engel und ein Teufel haben sich als Wächter an der Grenze zwischen dem alten und dem neuen Leben des Helden aufgebaut und verlangen seinen Lebenslauf. Sie schlüpfen in alle Rollen, um diesen jungen Mann wetteifernd: Aber er lässt sich von Stein, dem avantgardistischen Theaterregisseur ebenso wenig auf eine Seite ziehen wie von KGB-Offizieren. Nacheinander proben sie seine Verführung: Aussteiger, die als Kleinkriminelle im Schwarzhandel auf dem Land stranden; verliebte Offiziere, die ihn mit dem Posten des „stellvertretenden Vergnügungsorganisators“ bestechen wollen; junge Frauen, die ihn als Reisebegleiter nach Samarkand vermissen. Er aber bleibt auf der Suche nach etwas anderem.

Doch dieses dramaturgisch schlichte Handlungsgerüst trägt nur notdürftig die absurden Spitzen der Episoden, die auch in der Theaterfassung oft Erzähltext bleiben. Wie er schon in der Schule mit seinem Talent, Nachrichten aus alten Zeitungen neu zu interpretieren, fast den Lauf den Weltgeschichte verändert hätte. Wie er im Majakowski-Theater fast einen politischen Umsturz auslöste. Wie er als Parkwächter mit einem Kulturprogramm den Alkoholismus bekämpfen soll und einem Priester begegnet, der die Vergiftung des Baikalsees einer Verschwörung der Juden anlastet. Wie er beim Militär in die Topografie eingreift und den Kaukasus verrückt.

Alle diese Episoden bestechen zum einen durch ihr verrücktes Bild des sowjetischen Alltags, einer ständigen Herausforderung der Improvisation. Zum anderen durch die Stilisierung des Erzählers als Taugenichts. Das Leben selbst wird zur theatralischen Inszenierung, die an den unglaubwürdigsten Stellen die größte Glaubwürdigkeit verlangt.

Dem Vergnügen des Lesens fügt das Theaterstück zum Erfolgsbuch allerdings nicht viel hinzu. Eher stutzt die szenische Fassung dem selbstironischen Witz Kaminers ein wenig die Flügel in ihrem Eifer der Identifikation und nimmt so dem Erfinden des Authentischen etwas den Wind aus den Segeln. Das Staunen über den eigenen Erfolg und die Erwartung, dass sich dies gleich als Irrtum herausstellt und doch noch die große Katastrophe über ihn hereinbricht, schwingt in den Erzählungen immer mit. Die Durchsichtigkeit, mit der Kaminer seine Figuren als literarische Erfindungen ausweist, die das real Erfahrene besser handhab- und aushaltbar machen, geht auf der Bühne verloren. Der kleine Abstand, aus dem der jetzt gereifte Autor seinem Alter Ego die Naivität der Jugend zugesteht, ist die entscheidende Prise Salz in der Suppe. Diese Würze fehlt dem Rollenspiel. Dafür aber gibt es in der Pause Borschtsch und Wodka hinterher.

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