: Werkzeugkasten in Pink
Neuer Punkrock für das Grrl von Welt: Mit ihrer charismatischen Sängerin Karen O. verhelfen The Yeah Yeah Yeahs dem aktuellen Rock-Hype zu einer weiblichen Galionsfigur – Corona trinken und Mikrofonständer kicken inklusive
Endlich macht mal jemand in der Öffentlichkeit einen Witz darüber! Erleichterung stellt sich ein, als die Sängerin der Band Lunachicks beiläufig einen Witz über die Anschläge auf das World Trade Center fallen lässt. Bei den meisten Konzerten seit letzten Herbst haben Bands, die in New York auftraten, immer wieder ihre Trauer, Solidarität oder Wut ausgedrückt, wenn auch manchmal nur in einer verschämten Bemerkung am Anfang ihrer Show. Selbst der legendäre Punk-Club CBGB hatte in der auf die Terrorattacke folgenden Woche im Veranstaltungsmagazin Village Voice ein Herz für Polizei und Feuerwehr gezeigt: „We mourn for those who lost and gave their lives. We give thanks to those who work through the night“, stand in klaren, wenn auch kleinen Buchstaben unter dem Wochenprogramm der Geburtsstätte des Hardcore.
Doch nun ist es März 2002, und in der Knitting Factory kündigt die charismatische Sängerin einer New Yorker Band eine weitere New Yorker Band mit charismatischer Sängerin an: The Yeah Yeah Yeahs. Und Karen O., die Sängerin der Yeah Yeah Yeahs, ist wirklich außergewöhnlich: Im Laufe ihrer etwa 30-Minuten-Show verbraucht sie sieben Flaschen Corona, die sie in und über sich und das Publikum schüttet, oft sehr pointiert im Takt. Während des Singens schleudert sie den Mikroständer umher, wickelt sich das Mikrokabel um den Hals, grinst, legt sich auf den Boden und kickt in die Luft. Es ist ein bisschen wie: „Ihr erwartet Punkrock? Ihr bekommt Punkrock!“ Das zeugt von einer sehr höflichen Aufmerksamkeit dem Eintritt zahlenden Publikum gegenüber. Subversiv kundenorientiert, möchte man sagen.
Endlich mal wird Punkrock von einem weiblichen Wesen zelebriert und dekonstruiert, und das auch noch auf charmante Art und Weise. In den Songs der Yeah Yeah Yeahs werden spöttischer Kommentar, kathartisches Herumschreien und Tralala unbekümmert kombiniert. An das erfrischend postmoderne Konglomerat, das Karen O. verkörpert, muss sich ein waschechter Punkveteran allerdings erst mal gewöhnen (wenn er das überhaupt will): Der Haarschnitt vom Designerfrisör, das Hemdchen mit Aufdruck „Christian Girl“ vermutlich vom Hamburger Modelabel „Mägde und Knechte“, das Röckchen aber, ganz Old School, so kurz und hässlich, dass die Polizei kommt. Einen Bassisten gibt es nicht; man braucht auch keinen. Schlagzeuger Brian Chase und Gitarrist Nick Zinner geben der grandiosen Sängerin den richtigen Garage-Band-Hintergrund.
Dass diese Band rockt, lässt sich nicht abstreiten. Die Village Voice ist begeistert, der Rolling Stone ernannte sie im Januar zu einer der zehn Bands, die es im Auge zu behalten gilt („Next Wave Artist to Watch“), und bei der Europatournee steht diesen Sommer bereits eine John-Peel-Session in London an.
Echtes Startum manifestiert sich in dem Song „Art Star“. Bösester herausgeschriener Hass (auf die Kunstszene!) wechselt sich mit Pizzicato-Five-artigem doop-doop ab und macht das Ganze so auch für Mädchen und sonstige Feingeister hörbar. Die sind im Publikum überhaupt sehr zahlreich vertreten. Kein Wunder, handelt es sich bei dem Konzertabend doch um eine Benefizveranstaltung für das in finanzielle Nöte geratene Grrlzine „Bust“, das im East Village ansässig ist.
Das Heft richtet sich im selbstbewussten Untertitel an „women with something to get off their chests“, ist aber auch für andere Frauen äußerst unterhaltsam. Die kleinen Freuden und Nöte des feministischen Alltags werden mit Plattenkritiken, Modestrecken und Gossip aller Art durchmischt. Im Merchandising-Teil kann das Grrl von Welt T-Shirts mit „What would Joan Jett do?“-Aufdruck, Nägeldekor im Tigerlook, PMS-Bonbons, Vibratoren, einen pinken Werkzeugkasten und sonstigen Schnickschnack erwerben.
Das anschließende Konzert der Jon Spencer Blues Explosion hat zwar auch seinen Reiz, aber Charme und Chuzpe der Vorband werden hier doch eher durch Ernsthaftigkeit und Virtuosität ersetzt – und Jon Spencers Koteletten erinnern in ihrer Länge bereits bedenklich an den späten Elvis.
Die wahre Sensation des Abends sind ohne Frage die Yeah Yeah Yeahs. Ihr Song „Our time“ verkündet mit angebrachtem Größenwahn und merkwürdiger Mehrdeutigkeit „So glad that we made it/It’s our time to be hated“. Wie Greil Marcus, der Chronist des Punkrock, kommentierte: „I can’t believe people in New York aren’t singing this on the street“.
KAROLINE BROMBACH
The Yeah Yeah Yeahs spielen heute im Vorprogramm von Jon Spencer Blues Explosion, 20.30 Uhr, ColumbiaFritz, Columbiadamm 8–11, Tempelhof
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen