: Onkel mit schlechtem Einfluss
Die Jon Spencer Blues Explosion hat den Strokes die Coolness gelehrt und nun die Rock-’n’-Roll-Klassik entdeckt
Früher hat Onkel immer die Bonbons verteilt, später hat man mit ihm heimlich Zigaretten geraucht und den ersten Whiskey getrunken. Vier Jahre lang war der schlechte Einfluss verschwunden, aber mittlerweile ist die Saat aufgegangen. Nun aber will der Onkel es nicht gewesen sein. „Ich übernehme keinerlei Verantwortung“, sagt Jon Spencer und reckt die Arme nach oben wie ein Fußballer, der gerade ein Foul im Strafraum begangen hat, „aber ja, ich glaube, dass die Blues Explosion eine wichtige Band sind, eine Band, die andere beeinflusst hat.“
Bands, die sich Strokes, White Stripes oder Black Rebel Motorcycle Club nennen, wie die Jon Spencer Blues Explosion aus New York City stammen, aber gefeiert werden, als hätten sie den Rock ’n’ Roll höchstpersönlich neu erfunden. Ohne die Vorleistungen, die die Blues Explosion erbracht hat, wären sie nicht denkbar. „Hab sie getroffen“, sagt Spencer, so knapp es geht, über die Strokes und die White Stripes. Schließlich sind er und seine Kumpane schon seit Mitte der 80er damit beschäftigt, R&R zu dekonstruieren. Zuerst ließ er ihn mit Pussy Galore den Lärmtod sterben, dann flickte er ihn mit der Blues Explosion wie ein Dr. Frankenstein eher notdürftig wieder zusammen, um ihm nun mit dem neuen Album „Plastic Fang“ eine gelungene Schönheitsoperation zu verpassen.
„Plastic Fang“ glitzert wie eine frisch geöffnete altägyptische Schatzkammer voll Bluesrock, Rock ’n’ Roll und Garagenrock, die aber allesamt so unverbraucht klingen, als sei diese Musik plötzlich wieder zu Pop geworden. Es hilft, dass Spencer einige Songs von geradezu klassischer Größe geschrieben hat. Vielleicht war es auch wichtig, dass Dr. John ein wenig mitgeklimpert hat, sicherlich hat mit Steve Jordan (Mick Jagger, Tom Jones, Bob Dylan, Neil Young, Bruce Springsteen) erstmals ein renommierter Produzent Hand an den sonst so krachigen Sound der Blues Explosion gelegt. Viel wichtiger aber scheint, dass diese Songs von Gitarrist und Sänger Spencer, Judah Bauer an der zweiten Gitarre und Russell Simins am Schlagzeug so gespielt werden, dass sie klingen wie eben mal ganz nonchalant hingerotzt. Dazu braucht es eine Virtuosität, die mit den Jahren wachsen musste. „Vielleicht könnte man sagen, dass ich die Traditionen erst zerstören musste, bevor ich sie schätzen lernen konnte“, lässt sich Spencer während seines Frühstücks gerade mal so aus der Nase ziehen, und dass die Distanz zum Gegenstand, ohne die die frühen Lärm-Exzesse der Blues Explosion wohl nur schwer zu ertragen gewesen wären, auf „Plastic Fang“ nicht mehr vorhanden ist. Seine Band ist nun ganz bei sich selbst angekommen. „Aber“, so Spencer, „das ist mein ganz persönlicher Weg, meine Geschichte.“
Auf diesem Weg zum souveränen Sachwalter amerikanischer Klassik begleitet hat ihn vor allem sein Gespür dafür, die richtigen Gesten und die richtigen Töne zur rechten Zeit zu setzen und dem Mainstream stets ein Gitarrenbreak voraus zu sein. Wortkarg antwortend, demonstrativ lässig den Fragesteller verachtend, sitzt da die Blaupause für Bands wie die Strokes oder Black Rebel Motorcycle Club, die Freiräume nutzen, die ihnen Spencer freigehalten hat. Auch wenn es beide Seiten nie selbst sagen würden: Von Spencer hat der Nachwuchs nicht nur die Codes of Cool gelernt.
Nur: Die Epigonen verwechseln rüpelhaftes, unhöfliches Verhalten mitunter mit Stil. Den aber scheint Spencer in die Wiege gelegt bekommen zu haben. Seit er gemeinsam mit Christina Martinez von Boss Hog einen vierjährigen Sohn hat, kann er sich endlich auch „Rock ’n’ Roll Daddy“ nennen. Spencer ist in der Lage, das vollkommen ernst und zugleich unpeinlich auszusprechen. „Irony is over“, hieß es in den Tagen nach dem 11. September, eine Aussage, die Spencer für ausgemachten Schwachsinn hält. Auf die Blues Explosion aber trifft sie ironischerweise gerade jetzt endlich zu. „Rock ’n’ Roll ist eigentlich eine sehr einfache und fröhliche Musik“, sagt der Onkel, als er nach vier Jahren mal wieder beim Familienfest vorbeischaut, „aber wir nehmen sie trotzdem ernst.“
THOMAS WINKLER
Jon Spencer Blues Explosion: „Plastic Fang“ (Mute/ Virgin), 31. 3. Düsseldorf, 1. 4. Hamburg, 2. 4. Berlin, 3. 4. München
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen