piwik no script img

Kompromisslose Aufrüstung

Seit Kriegsende forcierte die DDR den Aufbau einer kasernierten Polizei. Diese „getarnte Armee“ sollte den Staat nach außen und innen verteidigen, wie Torsten Diedrich und Rüdiger Wenzke zeigen

von OTTO DIEDRICHS

Noch Ende 1944 erklärte der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck im Moskauer Exil: „Deutschland wird auch keine Armee mehr haben, die faschistische Armee wird völlig zerschlagen – Deutschland wird völlig entwaffnet werden.“ Wenige Monate später war Deutschland besiegt. Auf sowjetisches Geheiß machten sich die KPDler daran, im besetzten Osten, ihr „neues Deutschland“ aufzubauen, und die guten Vorsätze wurden bald dialektisch überwunden. Nach der Ausrottung von Imperialismus, Militarismus und Faschismus, so hieß es nun, würden sich auch alle anderen Fragen neu stellen – und also werde man auch „wieder eine Wehrmacht haben, aber eine demokratische“.

Unmittelbar nach Kriegsende ging es zunächst einmal darum, auf Befehl und unter Kontrolle der sowjetischen Militäradministration (SMAD) wieder funktionsfähige Polizeiorgane zu schaffen. Nach dem Willen von SMAD und KPD sollten die neuen Polizisten aus der Arbeiter- und Bauernschaft rekrutiert und von Funktionären der Partei geführt werden. Ende 1945 bestanden die Schutzpolizeiformationen bereits zu 80 Prozent aus Angehörigen der Arbeiterschaft. Viele von ihnen mussten jedoch schon nach kurzer Zeit wegen mangelnder Qualifikation wieder entlassen werden oder gingen von selbst, wenn sie in ihren ursprünglichen Berufen wieder Arbeit fanden. Trotzdem erreichte die „Volkspolizei“ Ende 1946 eine Gesamtstärke von rund 40.000 Mann, die schrittweise nun auch mit Handfeuerwaffen ausgerüstet wurden.

Die Pläne gingen jedoch von Anbeginn weiter, wie Torsten Diedrich und Rüdiger Wenzke in ihrem Buch über die „getarnte Armee“ überzeugend darlegen. Im Frühjahr 1948 trafen sich die ostdeutschen Innenminister zu einer besonderen Konferenz. Wichtigster Tagesordnungspunkt: die Aufstellung einer „kasernierten Polizei“. Um Schwierigkeiten mit dem Alliierten Kontrollrat zu vermeiden, schlug Walter Ulbricht hierfür die Bezeichnung „Bereitschaften“ vor. Für die neue Truppe, so Ulbricht, brauche man „Leute, die Fronterfahrungen, Leute, die Spanienerfahrungen oder sich auch sonst im Kampf bewährt haben“. Geplant war also der verdeckte Aufbau militärischer Strukturen.

Noch im gleichen Jahr begann die Werbung für die neuen Bereitschaften, und auch ein Großteil der Volkspolizisten wurde zwangsweise dorthin versetzt. Dennoch reichten die zur Verfügung stehenden Personalressourcen nicht. Auf Vermittlung des SMAD erklärte sich die Sowjetunion daher bereit, in ihren Gefangenenlagern ehemalige Wehrmachtsangehörige, darunter auch Offiziere und Generäle, zu werben. Sie wurden vor die Alternative gestellt, sich dem Aufbau der Polizeibereitschaften zur Verfügung zu stellen oder weiter in Gefangenschaft zu bleiben. Die Wahl war nicht schwer und für einige ehemalige Wehrmachtsoffiziere der Beginn einer neuen militärischen Karriere.

Im Sommer 1953 gehörten den nach sowjetischem Vorbild strukturierten Verbänden der „Kasernierten Volkspolizei“ (KVP) bereits rund 113.000 Mann an. Bewaffnet waren sie unter anderem mit Panzern, Artillerie, Flugzeugen und Küstenschutzbooten. Umso mehr erstaunt es, dass die Sowjetunion im Oktober 1953 auch ihren prominentesten Gefangenen für die KVP zur Verfügung stellte: den in der mörderischen Kesselschlacht von Stalingrad besiegten Generalfeldmarschall Friedrich Paulus. Diesen schwer belasteten faschistischen Militär direkt in ihre getarnte Armee einzugliedern, war den Ostberliner Machthabern allerdings doch zu heikel. Offiziell wurde Paulus von der Kasernierten Volkspolizei nur „betreut“, inoffiziell gleichzeitig von der Staatssicherheit überwacht.

Dennoch, bei der Verwirklichung der marxistisch-leninistischen Grundmaxime: „Eine Revolution ist nur dann etwas wert, wenn sie sich zu verteidigen versteht“, kannten die Sowjetführung und DDR-Oberen keine Berührungsängste. Eher schon traute man der eigenen Truppe nicht. Die streng geheim gehaltenen Übungen wurden ohne oder mit wenig Munition durchgeführt.

Und auch beim Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 wurde die KVP auf Weisung der DDR-Führung in den meisten Fällen ohne Munition eingesetzt. So sollte sicher gestellt werden, dass den sowjetischen Truppen auch dann nur schwache Kräfte gegenüberstünden, wenn die Volkspolizisten sich auf die Seite der Bevölkerung stellen sollten.

Auf solche ebenso überraschende wie häufig erschreckende Einzelheiten stößt man häufig im Buch von Diedrich und Wenzke. Aber auch insgesamt schließt das umfangreiche Werk sowohl in der Geschichts- wie auch in der Polizeiforschung eine Lücke, da es erstmals detailliert die einzelnen Etappen auf dem Weg von der „Kasernierten Volkspolizei“ zur „Nationalen Volksarmee“ darstellt.

Torsten Diedrich / Rüdiger Wenzke: „Die getarnte Armee“, 944 Seiten, Links Verlag, Berlin 2001, 34,80 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen