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Horst ist von uns gegangen

Tod eines Hamsters. Vom verzweifelten Versuch, einen pelzigen Rentner zu retten

Wie ein Fußballer wurde der Kleine fit gespritzt. Bald würde er wieder spielen können

Vor drei Tagen sah Horst plötzlich sehr krank aus. Mit einer tumorartig angeschwollenen Backe schleppte er sich nur noch mühsam um sein Haus.

Horst ist unser Wohngemeinschafts-Hamster. Immerhin war er schon eineinhalb Jahre alt, ein Rentner. Mehr als zwei Jahre sind bei dieser Gattung kaum drin.

Ob er Schmerzen hatte? Sollten wir zum Tierarzt gehen? Aber wäre das nicht albern bei einem so kleinen Tier, das in der Nahrungskette eigentlich nur als Futter für Reptilien und Greifvögel vorkommt und in dieser Funktion auch regelmäßig im Zoo zu besichtigen ist? Wir waren ratlos. Jemand schlug vor, Horst im Kühlschrank einzufrieren. Das sei ein schmerzfreier Tod. Ich fand den Gedanken erst gar nicht so schlecht, aber dann fiel mir ein, dass unser Gerät nicht schockgefrieren kann und es möglicherweise ziemlich lange dauern würde. Wer weiß, hinterher würden wir seine Kältetodaufzeichnungen im Gemüsefach finden und nie wieder ruhig schlafen können. Mitbewohnerin Britta nahm sich das alles besonders zu Herzen. Umbringen wollten wir Horst auch nicht. Also doch zum Tierarzt?

Nach zwei Abenden hitziger Diskussionen bot Brittas Exfreund Dietmar an, sich darum zu kümmern. Das klang gut, denn Dietmar arbeitet als studentische Hilfskraft in einem Institut, das für die, äh, sagen wir, Gesundheit gewisser Versuchstiere zuständig ist, mit denen dort wichtige Experimente durchgeführt werden, die letztlich zu deren eigenem Nutzen sind, sagt jedenfalls Dietmar.

Nach Einbruch der Dunkelheit schlichen wir uns mit dem Hamster im Karton zu seiner sonderbaren Abteilung. Der Pförtner durfte uns auf keinen Fall erwischen, weil versuchsfremde Tiere dort strengstens verboten sind. Unser moribunder Nager wurde gründlich untersucht und machte eigentlich einen überraschend munteren oder zumindest gelassenen Eindruck, sogar als es plötzlich laut klopfte. Wir hingegen erschraken sehr. Wie bei einem Freistoß stellten wir uns in einer geschlossenen Mauer vor dem Tisch auf. Eine Frau kam herein, wollte aber nur eine Zigarette, grinste verschwörerisch und war schnell wieder weg. Sie hat offenbar nichts bemerkt.

Die Operation, die Dietmar vorschlug, lehnten wir nicht nur auf Grund des hohen Alters des Patienten ab. Die dicke Schwellung könne allerdings von einer Entzündung herrühren, meinte er dann, gegen die wiederum ein Aufbaucocktail von Antibiotika, Cortison und Vitaminen hilfreich wäre. Diesen spritzte er dem Hamster schließlich in die Nackenfalte und wir waren mit der Therapie sehr zufrieden. Die Etiketten der Medikamente sahen gut und teuer aus. Wie ein Fußballer wurde unser Haustier fit gespritzt. Bald würde der Kleine wieder spielen können.

„Was meint ihr – wiegt der fünfzig oder hundert Gramm?“, fragte Dietmar zwischendurch. Wir einigten uns auf fünfundsiebzig und gaben ihm vorsichtshalber noch eine Dosis. Mir kamen kurz Zweifel über die Richtigkeit der Vorgehensweise, die ich jedoch sofort wieder verdrängte. Auf der Rückfahrt im Auto wurde Horst im Karton merkwürdig schwach. Während Britta, die auf einmal wieder froh und optimistisch war, noch einen Parkplatz suchte, stopfte ich den nun verdächtig stillen Hamster in sein Haus und bat die anderen, heute besondere Rücksicht auf seine Nachtruhe zu nehmen.

Vorhin kam Dietmar vorbei, den ich gleich heute Morgen telefonisch über das Ableben seines Patienten informierte. Er hat Horst soeben im Garten vergraben und will es Britta gleich selbst sagen. Und ich denke, zum Geburtstag gibt es für ihn eine Briefwaage mit Digitalanzeige.

CLAUDIA RÖMER

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