: Drache zerpustet Wolf
■ Emanzipation von stereotypen Rollen: David Wiesners Kinderbuch „Die drei Schweine“ zeigt, wie's geht
Wer Kindern den respektlosen Umgang mit Texten oder das aktuell moderne Dissoziieren beibringen will, braucht kein dröges Theoriebuch zu wälzen. Braucht sich auch nicht einzubilden, das Changieren zwischen verschiedenen Textebenen sei eine hochkreative Leistung, erbracht einzig von Überfliegern aktuellen Theater- und Kunstgeschehens: Ganz einfach hat sich's nämlich der Amerikaner David Wiesner in seinem jetzt auf Deutsch edierten Kinderbuch Die drei Schweine gemacht. Schlicht und humorvlll demonstriert er, was es heißt, aus der Geschichte zu fallen, sich über altmodische Textgenres zu mokieren, deren Personal aber bei Bedarf durchaus neu zu nutzen.
Vom Wolf bedroht werden in der Geschichte drei Schweine, die sich je ein Haus aus Stroh, Holz und Steinen bauen und doch der Gefahr nicht standhalten können: Aus den Sieben Geißlein – oder war es Rotkäppchen? Rapunzel? – stammt der Wolf, der um Einlass bittet und, als er nicht vorgelassen wird, das jeweilige Haus umpustet und das Schwein ... verspeist?
Tja, so steht es im Text, in Wirklichkeit aber ist das Strohhaus-Schwein aus der Geschichte gepustet worden, hat sich hinter deren Buchseiten versteckt und hilft seinem Kumpan mit dem Holzhaus aus derselben Bredouille. Bis der Wolf auch noch das Steinhaus umpustet, warten sie dann nicht mehr, sondern flüchten auf einem Flieger, gefaltet aus den Blättern der Wolfsgeschichte. Da treffen die drei auf die kindische Diedel-Diedel-Geschichte, deren Katze gleich mitkommt, und auf den Drachen, den sie knapp vorm Erlegtwerden durch den tapf'ren Ritter retten.
Aber Heimweh haben die drei Schweine auch – und so streichen sie schließlich die zerknüllte Seite vom bösen Wolf wieder glatt und gehen, verstärkt um Katz und Drachen, zurück in ihre eigene Geschichte. Allerdings nicht als Opfer: Mit zwei Hauchern pustet der Drache den gefräßigen Wolf von der Haustür, dass die Buchstaben durch die Gegend purzeln.
Eine humorvollle Geschichte mit multiperspektivischen Zeichnungen, deren Figuren sich zum exakt richtigen Zeitpunkt von der für sie vorgesehen Rolle im öden Geschehen emanzipieren: Sie verlassen ganz konkret den vorgesehenen Rahmen. Eine Draufsicht, die ohne jeden Pädagogik-Spleen vermittelt wird, indem Aus-der-Rolle-Treten und Aussteigen als Selbstverständlichkeit vorgeführt werden. Gelungen. Und nicht nur für Kinder. Petra Schellen
David Wiesner: Die drei Schweine. Hamburg: Carlsen-Verlag 2002, 44 S., 15 Euro
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