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Gipfeltreffen mit Lotterbett

Jungsgeplauder auf der Schlemmerseite der Revolution: Nicolas Stemann inszeniert Georg Büchners „Dantons Tod“ am Schauspielhaus Basel. Die Frage ist: Können Popstars Todesangst haben?

von JÜRGEN BERGER

Würde es unter jüngeren Theatermachern im deutschsprachigen Raum einen Klugheitswettbewerb geben, Nicolas Stemann landete mit Sicherheit auf einem der vorderen Plätze. Und ginge es um die Frage, inwieweit aktuelle Gehalte aus Klassikern herauszuschälen sind, würde der Wettstreit um den vordersten Platz wohl zwischen ihm und Lars-Ole Walburg entbrennen, dem Chefdramaturgen, Regisseur und designierten neuen Basler Schauspielchef. Walburg hat kürzlich an den Münchner Kammerspielen eine kontroverse Inszenierung von „Dantons Tod“ herausgebracht. Also kam es jetzt in Basel zu einer Art Gipfeltreffen: Stemann trifft Walburg unter Verwendung von Büchner.

Eigentlich hätte nur noch gefehlt, dass Walburg die Dramaturgie in Stemanns „Danton“ übernimmt. Aber das wäre wohl doch zu viel des Guten gewesen, schließlich ist einer wie Stemann sich selbst Dramaturg genug. Eine Parallele zwischen München und Basel scheint es auch so zu geben. Walburg, so wird berichtet, habe aus dem Münchner „Danton“ ein Demokratiespiel im Medienzeitalter gemacht. In der einschlägigen Volksszene sei das Münchner Publikum lustvoll zum „Stimmvieh“ geworden. Davon ist Stemann nicht weit entfernt, wenn er den epikureischen Teil der Büchner’schen Revolutionsbagage, Danton, Desmoulins und Lacroix, als sich selbst inszenierende Popstars agieren lässt. Diese Jungs ächzen unter ihrem eigenen Scheincharakter.

Geht das Licht an in Basels neuem Schauspielhaus, sieht man einen riesigen, langen, niedrigen Tisch, der vieles sein kann: eine Revolutionsgasse, unter deren Pflaster der Strand liegt; ein überdimensionales Lotterbett für Berufsrevolutionäre mit Puff-Abo; oder ein großes Designerteil für japanische Teezeremonien. Auf dem quer liegenden Laufsteg absolviert Sebastian Blomberg kurze Danton-Zappings und sondert Archivfloskeln ab. „Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden“, sagt bei Büchner der Dramatiker Mercier gegen Ende des Revolutionsdramas im Kerker zu Danton. Bei Stemann ist Danton die Verkörperung der politischen Phrase.

Der einstigen Lokomotive der Revolution scheint spätestens zu dem Zeitpunkt der Dampf ausgegangen zu sein, als sie begriffen hat: Der da im Spiegel bin nicht ich. Das sind viele, und mit von der Partie sind auf keinen Fall Bush, Schröder und Jelzin. Wenn schon, dann bin ich Mick Jagger, Michel Houellebecq und Michael Schumacher in einem. Blomberg spielt das, ohne die Starallüre überzustrapazieren. Das hat zur Folge, dass der Basler Danton während der schnellen zweistündigen Inszenierung gelegentlich wirkt, als sei er vor allem ein klasse Kerl aus Kerpen, der sich fragt: Wie war das noch mal, als ich vor 200 Jahren Revolution gemacht habe? Nur einmal zeigt Blomberg, wie fies Revolutionsstars sein können. Während der direkten Konfrontation, wenn der Basler Danton („Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?“) den Robespierre („Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen“) herablassend in die Arme nimmt, als zeige ein Oberprimaner einem Sextaner, wo das Geistige aufhört und das Körperliche anfängt.

Das Ganze hat einen Touch von Leichtigkeit, da die Jungs auf der Schlemmerseite der Revolution jederzeit zu Conferenciers werden und sich ihre eigene Geschichte erzählen können, als ginge es bei Charlotte Roche fast forward im Revolutionsgeplauder. Streng davon abgesetzt ist Robespierre, obwohl der Basler Blutmessias weder ein eifernder Glaubenskrieger noch ein Guillotinen-Technokrat ist. Aber genau das macht das Ganze so gefährlich. Vincent Leittersdorf wirkt, als suche ein leitender Scientology-Angestellter das richtige Wort zur richtigen Zeit und locke mit sanft-beherrschter Stimme seine Schäfchen ins Nirwana. Ginge einer wie er heute in die Politik, die Nation sehnte sich gewiss nach einem wie Westerwelle zurück. Basels St. Just (Felix Goeser) ist der Juniorchef. Da kann die Stimme schon mal zu laut und der Anzug zu weiß ausfallen.

Blieben noch die Damen der Revolution, die Stemann alles andere als charmant bedient – sieht man davon ab, dass eine überdimensional projizierte Video-Scham inklusive mechanischer Bewegungen der zugehörigen Masturbationshand gezeigt wird. Die Grisetten Adelaide und Rosalie fehlen völlig. Zu wenig Zeit hatte Stemann wohl auch für Dantons Gattin Julie, sie taucht nur am Rande auf. Tatsächlich gewidmet hat Stemann sich nur der Lieblingsgrisette des Revolutionsfürsten. Das Ergebnis ist Véronique Fellmann, die professionell strippt und den wunderbaren Monolog der Marion („Wer am meisten genießt, betet am meisten“) in einer Kurzversion und gebrochenem Deutsch vom Blatt liest. Das hat was, dieses sanfte Revolutionsmanifest, das der Unbedingtheit des Körpers zu seinem Recht verhelfen will.

Nach 90 Minuten allerdings wird es auch für Stemann ernst. Wie viele andere kapituliert er vor dem dritten Akt. Stemanns Problem ist, dass er sich wohl nicht vorstellen kann, Popstars könnten tatsächlich Todesangst haben. Da hilft es nicht, dass er ein überzeugendes Bild für die Peripetie des Stücks gefunden hat und den überdimensionalen Laufsteg längskantig hochziehen lässt. Die Plastikpflastersteine poltern, und den Popstars der Revolution wird während ihrer Bicentenary-Party buchstäblich die Bühne unter den Füßen weggezogen. Dann allerdings sitzen Danton, Camille und Lacroix nur noch da und bringen Büchner-Textreste hinter sich.

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