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Der Zweikampf der Antihelden

Das soll der Ministerpräsident sein? Man erkennt ihn am sichersten daran, dass er aus einem gepanzerten Daimler steigt. Es scheint ihm bis heute peinlich zu sein. Reinhard Höppner tritt nicht auf, er schleicht sich heran. Leicht gebeugten Ganges, was nicht am Alter liegen kann, denn seine 53 Jahre sieht man ihm nicht an. Einen natürlichen Distanzraum zur Umgebung erzeugt er nicht. Ein nahbarer Mensch, mit dem verbindlichen Lächeln eines im kirchlichen Raum Sozialisierten. In den letzten Jahren ist ein herber Zug um die Mundwinkel hinzugekommen, wenn er in Diskussionen unbeweglich zuhört und erst wieder zum Leben zu erwachen scheint, wenn er sich ans Mikrofon vorbeugt.

Ich bin einer von hier

„Wenn ich dieses komplizierte Land nicht liebte und voranbringen wollte, würde ich die Schwierigkeiten des Amtes nicht durchstehen“, sagt er. Höppner ist Sachsen-Anhaltiner, in Haldensleben unweit von Magdeburg geboren und erst zum Mathematikstudium nach Dresden ausgerückt. Um seine Heimatliebe zu unterstreichen, werden unter www.reinhard-hoeppner.de Heimatbilder wie der Sonnenuntergang in der Börde gezeigt. „Meine Schwäche ist Sachsen-Anhalt“, wird der Regierungschef mit unfreiwilliger Komik zitiert.

Höppner verweist auf den Impuls des Herbstes 89, als er Quereinsteiger bei der SPD wurde. Er sagt, die damals als „Laienspieler“ Denunzierten hätten immerhin eine Portion des „ganz normalen Lebens“ geschnuppert. Ein Teil dieses Lebens, nämlich das Ehrenamt als Präses der evangelischen Synode der Kirchenprovinz Sachsen, prädestinierte ihn wohl 1990 für die Rolle des Vizepräsidenten der ersten frei gewählten DDR-Volkskammer. Mit Witz und Charme erwarb er sich den Ruf eines parlamentarischen Talents.

Einigermaßen clever stellte er 1994 auch seine Wahl zum Ministerpräsidenten mit Hilfe des „Magdeburger Modells“ an. Statt der erwarteten großen Koalition ließ Höppner eine rot-grüne Minderheitsregierung von der PDS tolerieren. Das blieb 1998 nach dem Ausfall der Grünen so.

Noch eine Art Bekenntnis kam in dieser Amtszeit hinzu: das als leidenschaftlicher Ossi. Was Wunder in dem Bundesland, das vom Transformationsprozess am härtesten betroffen war und ist. Das Image der „Roten Laterne“ ärgert ihn, zumal es die Statistik nicht durchweg belegt: „Der eigentliche Unterschied besteht zwischen Ost und West, zwischen den ostdeutschen Bundesländern sind sie minimal.“ Insofern richte die CDU mit ihrem „Rote-Laterne“-Wahlkampf Schaden an. Das habe etwas von der sich selbst erfüllenden Prophezeiung, sagt Höppner: „Wenn in Deutschland mal schlechtes Wetter herrscht, ist es in Sachsen-Anhalt garantiert am schlechtesten.“

Ich weiß, was ich will

Natürlich kennt ein Ministerpräsident auch die schlechten Zahlen: die meisten Arbeitslosen in Deutschland, höchste Insolvenzquote, höchste Pro-Kopf-Verschuldung im Osten, niedrigste Selbstständigenrate. Reinhard Höppner aber ist nicht gewillt, an den Haushaltschwerpunkten Bildung, Wissenschaft und Soziales Abstriche zu machen – hier gehört Sachsen-Anhalt bei den Ausgaben zur Spitze. Er sagt es nicht laut, aber den Glauben an politischen Einfluss auf einen wirtschaftlichen Aufholprozess Ost scheint er verloren zu haben. „Die Menschen wollen, dass ihnen die Politik Lasten abnimmt, die ihnen der Kapitalismus und der ständige Wettbewerb um den Arbeitsplatz bescheren“, meinte er in einem Interview.

Vergangene Woche am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Magdeburg wirkte er weise und müde zugleich: „Die Leute halten von Politikern nichts und erwarten von ihnen alles. Sie wollen im Grunde ein Gesetz, das macht, dass sie glücklich sind.“ Was dann kommt, klingt schon fast nach der sächsischen Methode Biedenkopf. Zufriedenheiten im Kleinen, Persönlichen oder auch in regionaler Identität suchen, jenseits der materialistischen Ideologie jedenfalls. Was er auf keinen Fall will, ist Schill. Mit dem „Teufel“ wolle sich die CDU einlassen, schimpft er. „Das ist wirklich imageschädigend, so wie die fast 13 Prozent DVU-Wähler vor vier Jahren.“ Weil Höppner ein Kopf-an-Kopf-Rennen von CDU, SPD und PDS erwartet, hält er sich alle Optionen offen.

Wie ein Spitzenpolitiker mit ewigem vorauseilenden Siegerlächeln kommt auch Wolfgang Böhmer nicht daher. Man stellt ihn sich unwillkürlich als Chefarzt im weißen Kittel vor, den er 30 Jahre lang trug. Wo ein Höppner sich nach vorn beugt, sieht man Böhmer meist zurückgelehnt, distanziert, die großen, klugen Augen schweifen lassend. Ein Volksredner ist er nicht, schon gar kein emphatischer Visionär. Was er zu sagen weiß, kommt in trockenen, klaren Sätzen. Keine Spur von Showtalent. Es wirkt wie einstudiert, wenn der nüchterne Akademiker beim Wahlkampfauftakt seiner CDU beide Daumen mühsam nach oben reißt. „Ganz kompetent, aber zu lahmarschig“, urteilen parteiinterne Kritiker respektlos über den 66-jährigen Professor.

Ich bin einer von hier

„Einer von hier, mitten im Leben“, lautet der Slogan auf der Wahlkampfbroschüre von Wolfgang Böhmer. Stimmt nicht so ganz. Denn geboren wurde er in der Nähe von Löbau in Sachsen, studierte in Leipzig und Halle und arbeitete zunächst als Gynäkologe in Görlitz. Erst 1973 kam er als Chefarzt nach Wittenberg. Fast all das gehörte vor dem Wiener Kongress auch einmal zu Sachsen, und vielleicht preist Böhmer deshalb unablässig die Erfolge des CDU-regierten Nachbarlandes. Seit 1990 ist der bis dahin „aus Überzeugung Parteilose“ nicht nur Professor, sondern auch fest in der Landespolitik des wiedergegründeten Bindestrich-Landes Sachsen-Anhalt verankert.

„Politiker, Wirtschaftspolitiker, Finanzpolitiker, Gynäkologe“ – in dieser Reihenfolge zählt das Munzinger-Archiv seine Berufsbezeichnungen auf. Es ging unter Werner Münch, dem zweiten, damals aus dem Westen gerufenen Ministerpräsidenten des Landes, seit 1991 steil bergauf mit dem politischen Autodidakten. Aus dem Stand wurde er Finanzminister, wandte sich gegen „undiszipliniertes Wunschdenken“ seiner DDR-geprägten Landsleute in Haushaltsdingen. In das Wunschdenken Münchs, der 1993 über eine Gehälteraffäre stolperte, wurde er allerdings mit hineingezogen. Für ein halbes Jahr war er dann in der dritten CDU-Regierung noch Sozialminister, bevor er die Oppositionsbank drücken musste.

Das tut er immerhin seit Sommer des vorigen Jahres als Fraktionschef, nachdem er 1998 schon zum CDU-Landesvorsitzenden gewählt worden war.

Böhmer hat kein Bodenständigkeitsproblem. Seine Beratermannschaft, manche reden schon über ein Schattenkabinett, aber besteht aus teils angejahrten Westgesichtern. Ex-Bahn-Chef und Kohls Ex-Ostbeauftragter Johannes Ludewig ist dabei, ebenso Eckart Werthebach, vom Verfassungsschutz und als gewesener Berliner Innensenator bekannt, ähnlich Exkultursenator Peter Radunski. Und seine Wahlkampfagentur „Publicis“ hat einige Erfahrung mit Berliner Misserfolgen.

Böhmer tut genau das, was man Höppner immer vorwirft: Er klagt, beschwört den Abschied von der „Roten Laterne“, preist die Erfolge der Nachbarn, will nicht im „Armenhaus Deutschlands“ leben. Um im nächsten Satz, genau wie Höppner, die Leistungsfähigkeit der Sachsen-Anhaltiner zu loben, die der anderer in nichts nachstehe.

Ich weiß, was ich will

Wolfgang Böhmers Prioritäten sind klar: Wirtschaft, Wirtschaft, nochmals Wirtschaft. „Mitteldeutschland war die potenteste Wirtschaftsregion Deutschlands und soll es wieder werden“, formuliert er. Kanzler Kohl habe nach 1990 schon die Weichen zum Erhalt des Industriestandortes gestellt. „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stärken“, verlangt er.

Kapiert hat Wolfgang Böhmer, dass von kapitalintensiven Großinvestitionen keine durchschlagenden Effekte zum Abbau von über 20 Prozent Arbeitslosigkeit zu erwarten sind. Also Handwerk und Kleinbetriebe.

Natürlich ist Rot-Rot an allem schuld und muss unbedingt verhindert werden. Dafür ist Böhmer notfalls bereit, mit Schills Ostfiliale zu koalieren. Hamburger Verhältnisse seien „nicht erwünscht“, sagt er. Aber ausschließen will er nichts.

Aus jedem zweiten Satz ist auch herauszuhören, dass nicht alles zugleich und von heute auf gestern zu machen sei, mehr Investitionen aus dem Landeshaushalt und gleichzeitige Senkung der Verschuldung etwa. Wie es konkret und vor allem anders als bisher wieder „aufwärts“ gehen soll, sagt er nicht. „Für die Abgabe uneinlösbarer Versprechen bin ich nicht zu haben.“ Fundamentalopposition ist deshalb schon seit dem Vorjahr out, das Schlagwort von der „Sanierungskoalition“ mit der SPD noch nicht gestrichen. Das klingt so, als könne man sich Reinhard Höppners Genossen schon noch erziehen.

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