Eine junge Frau von achtzig Jahren

In die Zukunft schauen: Bei den Petersburger Dialogen in Weimar wurde auch über die Beutekunst gesprochen

Irina Alexandrowna Antonowna ist eine achtzigjährige Grande Dame. Neben Ulrich Raulff, dem schmalen Feuilletonisten der Süddeutschen, macht sie eine fröhliche Figur. Er lächelt; sie lächelt. Sie lächelt; er lächelt. Man sieht das von oben aus, von der Zuschauertribühne der kleinen Weimarer Kongresshalle. Und dieses zweisame Lächeln – jeder für sich, beide für alle hier im Saal – sieht aus wie eine Parallelaktion.

Ulrich Raulff erzählt von gewissen Erfolgen. Das ist seine Aufgabe als Berichterstatter der Arbeitsgruppe Kultur hier beim zweiten Petersburger Dialog in Weimar. Und da der Dialog ein bilaterales Gespräch zwischen Russen und Deutschen ist, ging es um Beutekunst. Um deutsch-russische Kuturprojekte, um Spracholympiaden. Die restlichen Teilnehmer des Petersburger Dialogs diskutierten über Zivilgesellschaft und Krisenprävention, erinnerten an das erste große Moskauer Bürgerforum im November 2001, und Peter Boenisch, der Staatssekretär a.D., betonte: „Auch Putin sagt, Zivilgesellschaft hat ihre Basis in Russland.“

Bei diesem Abschlussplenum am Mittwoch ist die Hälfte der Sitzplätze leer. Auch Irina Alexandrowna Antonowna sagt nichts. Sie lächelt und schaut auf die Uhr. In ihrer Arbeitsgruppe hat sie alles Nötige gesagt. Jetzt geht es zurück nach Moskau.

Frau Antonowna ist Direktorin des großen Staatsmuseums für bildende Künste in Moskau, des Puschkin-Museums. Zusammen mit Raulff, zusammen mit Walentina Wladimirowna Tereschkowna, der ersten Kosmonautin im All, zusammen mit Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat sie in dieser Woche „die junge Elite“ der deutsch-russischen Zivilgesellschaften gebildet. Eine von 150 Teilnehmerinnen, die am Rande des Schröder-Putin-Gipfels in Weimar den bürgerschaftlichen Austausch vorantreiben sollen.

„Das hat mich nicht überrascht“, wird sie gleich zu dem fremden Journalisten im Bus nach Berlin-Schönefeld sagen. Warum auch? Auch Frau Antonowna war mal jung, und auch die Leitung eines staatlichen Museums hat ihre zivilen Seiten. Schon in jungen Jahren wusste sie, was gute Kunst ist. Diese holte sie am Ende des Großen Vaterländischen Krieges nach Moskau. Im deutschen Jägerjargon heißt das „Beutekunst“. Aber Frau Antonowna redet anders. Das war mal, sagt sie zu dem deutschen Journalisten ins Mikrofon: Die deutsche Kunst sei in den Fünfzigerjahren zurück nach Dresden gegangen.

Man fragt sich, warum diese junge Frau von achtzig Jahren heute noch gegen die Rückgabe kämpft. Und warum sie einlenkt. Vielleicht, sagt Helmut Seemann, der neue Präsident der Stiftung Weimarer Klassik, weil Frau Antonowna weiß, dass ihre Zeit fast vorbei ist.

Herr Seemann war Kokoordinator der Arbeitsgruppe Kultur und fand vieles konstruktiv. Trotz Kosmonautin und obwohl das mit der „jungen Elite“ und der nichtstaatlichen Ausrichtung dieses Treffens wohl eher ein Witz war. Das sollte noch kommen, findet der Klassikerchef mit dem jugendlichen Lächeln. Man werde das bei dem Lenkungsausschuss beantragen: Es fehlte die junge Kunst, es fehlte das junge Theater. Aber dafür ist man mit der Beutekunst weitergekommen. Wohl weil die Zeit der Antonowna vorbei ist.

Das sieht auch Ulrich Raulff zu ihrer Linken. Natürlich nicht wortwörtlich. Sondern so: „Jede Altersgruppe hat ihre Geschichte.“ Und die neue Geschichte der Beutekunst im 21. Jahrhundert könnte heißen: „Deutsche Werke in russischen Museen gemeinsam analysieren, restaurieren, ausstellen.“ Darüber habe man in der Arbeitsgruppe sehr konstruktiv gesprochen. Das wäre nämlich schon was: Einblick zu haben, was es da eigentlich gibt. In der Eremitage. Im Puschkin-Museum. Das sagt der Berichterstatter nicht. Aber er hat einen Atempunkt gesetzt. „Und dann“, sagt er, dann könnten „die größeren Schritte“ kommen. Damit könne sich auch die Leiterin des staatlichen Puschkin-Museums anfreunden, heißt es.

Im Bus nach Berlin freut sie sich darüber, dass hier beim Petersburger Dialog der „grenzüberschreitenden Bürgerinitiativen“ (Boenisch) so konstruktiv miteinander gesprochen wurde. Denn immerhin stehen große Austauschprojekte bevor: Die Ausstellung „Moskau – Berlin 1950–2000“ im Gropiusbau und der Tretjakow-Galerie. Die Frankfurter Buchmesse mit dem Gastland Russland. Maria Pawlowna – eine Ausstellung über die russische Großherzogin in Weimar. Es gilt in die Zukunft zu schauen. Auch wenn man alt ist. FRITZ VON KLINGGRÄFF