„Man darf es auch Jazz nennen“

Guck mal, wer da spielt: Der Trompeter Till Brönner über Jazz und seine Wahrnehmung in Deutschland, die wirtschaftliche Misere des Genres und die Zeitlosigkeit des HipHop, seine ersten Schritte in einer Schülerband mit Stefan Raab sowie die – leider folgenlos gebliebene – Erfindung des Kölsch-Floor

Interview MICHAEL TSCHERNEK

taz: Herr Brönner, Sie haben zuletzt mit Manfred Krug und Hildegard Knef zusammengearbeitet und UFA-Schlager für ein Swingorchester arrangiert, ihr neues Album dagegen ist von HipHop geprägt. Haben Sie keine Angst vor Beliebigkeit? Was macht Ihren Stil aus?

Till Brönner: Wir leben heute nicht mehr in einer Zeit, in der der Jazz das aktuelle Zeitgeschehen widerspiegelt, was ja über lange Zeit mal der Fall war. Heute hat sich Jazz zu einer Art Repertoiremusik entwickelt, wo man gerade als junger Musiker dem verständlichen Erwartungsdruck von Fachleuten gar nicht mehr gewachsen ist, und auch gar nicht gewachsen sein kann, wenn man etwa, so wie ich, erst 1971 geboren worden ist. Da bleibt die Frage, was man überhaupt noch entwickeln kann. Jeder hat gewiss seinen eigenen Stil. Aber etwas finden, was die Welt noch nicht gehört hat? Das ist sehr, sehr schwierig.

Ich versuche auf eine bestimmte Art zu spielen und so einen eigenen Sound zu entwickeln. Ich wünsche mir, dass die Leute, wenn sie mich hören, nicht mehr als ein paar Sekunden benötigen, um zu erkennen, wer da spielt.

Zu Schulzeiten sollen Sie mit Stefan Raab Musik gemacht haben. Wie kam es dazu?

Als ich zum Gymnasium gegangen bin, habe ich in Bonn gelebt. Raab ist da im Internat gewesen, da seine Eltern ja eine gut gehende Metzgerei hatten, und ich wohnte nur acht Kilometer davon entfernt. Stefan war außerdem vier Klassen über mir, aber wir haben zusammen in einer Schulband gespielt. Da gab es eine sakrale Popband, wie man es aus dieser Mundorgel-Zeit kennt. Die Band hieß Sakropop und die gibt es auch heute noch. Er hat Schlagzeug gespielt und ich Keyboards. So kam der Kontakt zustande.

Später haben wir im Kölner Metzgerkeller die ersten gemeinsamen Songs auf dem Keyboard geschrieben. Und wir haben sogar mal eine Platte gemacht.

Unter welchem Namen?

Wir hatten eine Band mit dem Namen „Schäng and the Gang“ (lacht).

Mit dem kölschen „Schäng“ für den Vornamen Jean?

Genau, und unsere Musik haben wir Kölsch-Floor genannt: Das war Dancefloor mit kölschen Texten. Eine ziemlich abgefahrene Geschichte. Leider wurde sie nicht weiter verfolgt, da wir uns schließlich in zwei völlig unterschiedliche Richtungen entwickelt haben.

Würden Sie Raab heute in seiner Sendung besuchen?

Besuchen würde ich ihn schon. Ich denke nur, dass das nicht so richtig da reinpasst. Ich kann mich ja nicht dahin setzen und über Jazz philosophieren.

Jazz ist ja nicht gerade ein Genre, für das sich heute noch ein großes Publikum begeistert. Sie gelten als einer der wenigen Stars hierzulande, der über Jazzkreise hinaus Erfolg hat. Warum?

Ich habe relativ viele Erfahrungen mit Situationen gemacht, in denen Menschen pauschal mit Ablehnung reagieren, wenn sie das Wort Jazz nur hören. In fast allen Fällen trifft man auch heute noch auf das hartnäckige Vorurteil, dass Jazz nichts anderes sei als Katzenmusik oder Free Jazz: etwas, was man sich einfach nicht anhören kann.

Meiner Meinung nach liegt das daran, dass sich eine bestimmte Szene in Deutschland, die sich immer für benachteiligt hielt, im Laufe der Jahre ein beachtliches Subventionsprogramm erarbeitet hat. Das hat schließlich dazu geführt, dass in deutschen Medien in erster Linie die Avantgarde stattfindet. Und wenn der durchschnittliche Fernsehkonsument nachts auf einem dieser TV-Kanäle landet, dann wird er irgendetwas über das Moerser Jazzfestival, die Leverkusener Jazztage oder das neu geborene Chicago Art Ensemble hören und vermutlich sofort weiterschalten. Das Problem dabei ist, dass das Image des Jazz dadurch so belastet ist, das inzwischen sogar Plattenfirmen anfangen, den Begriff Jazz weitgehend zu vermeiden. Das gilt auch in meinem Fall.

Vermeiden Sie lediglich den Begriff Jazz? Oder klingen Sie so, das man Ihre Musik zu Recht nicht mehr als Jazz bezeichnen kann?

Ich scheue mich nicht, nach wie vor sehr traditionelle, jazzige Elemente einzusetzen. Und deswegen darf, wer es möchte, das auch gerne Jazz nennen. Andererseits hat der, der meint, dass das nicht der klassische Jazz ist, den er sonntagmorgens im WDR hört, ebenfalls Recht haben.

Für mich ist Jazz heute die Freiheit, frei und spontan zu entscheiden, was man an anderen aktuellen Einflüssen integriert. Das war schon immer so, und das ist für mich auch in der heutigen Zeit die einzige Form der Fortentwicklung dieser Musik. Neu erfinden werden wird sie nicht mehr (stutzt). Ich frage mich immer, ob ich nicht eigentlich zur Salzsäule erstarren müsste, wenn ich so etwas sage (lacht).

Sind Sie ein Popmusiker?

Es ist schlicht und ergreifend utopisch, sich mit Pop messen zu wollen. Die Musik, die ich mache und die auch viele andere machen, erfordert ein gewisses Maß an Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Die kann sich nicht in 20 Minuten vollständig vermitteln. Deshalb spielt sich das auch in den seltensten Fällen in Bereichen ab, die einem den Lebensunterhalt sichern.

Können Sie das mit Zahlen belegen?

Wenn ein Album in Deutschland die berühmte magische Grenze von 10.000 verkauften Exemplaren überschritten hat, erhält der Jazzmusiker den Jazz Award, das ist gewissermaßen die goldene Schallplatte des Jazz. Diese Marke ist ja im Popbereich auch bereits auf traurige 150.000 reduziert worden, nachdem sie irgendwann schon mal bei 250.000 lag, da die Leute inzwischen einfach weniger Platten kaufen.

Wenn ein Jazzmusiker in Deutschland mehr als diese 10.000 Platten verkauft, dann ist das geradezu sensationell. Denn durchschnittlich werden von allen Jazzalben, die in Deutschland erscheinen, zwischen 300 und 1.500 Exemplare verkauft. Das ist verschwindend gering und traurig.

Das gilt auch für Jazzstars aus den USA?

Es einige wenige Ausnahmen, die sich regelmäßig an der Spitze der Jazzcharts halten können. Darunter fallen aber auch Mogelpackungen wie den „Buena Vista Social Club“: Der wird unter Jazz rubriziert und hat den Gesamtumsatz der Jazztonträger von normalerweise einem Prozent auf stattliche drei Prozent gesteigert. Das ist für die Statistik ganz vorteilhaft …

Aber Augenwischerei …

Im Grunde schon. Dann kann demnächst beispielsweise auch Lenny Kravitz sein Album für Jazz anmelden, würde da zweifelsohne die Nummer 1 werden und den Gesamtumsatz der Jazz-Tonträger in die Höhe treiben (lacht).

Tatsächlich liegt der Marktanteil des Jazz ziemlich konstant bei einem Prozent, und darin ist alles das, was Leute wie Wynton Marsalis, Herbie Hancock, Keith oder Jarrett verkaufen, bereits enthalten. Danach kommt lange gar nichts. Und wenn von dem Album einer unbekannten Band etwa 300 Exemplare über die Theke gehen, dann ist das schon eine Leistung.

Das erklärt auch, warum Musiker oft dazu tendieren, nur noch Musik für sich selbst und ihre Kollegen zu machen. Da gibt es diesen Spruch: „Du hör mal, ich habe gehört, du hast eine neue CD gemacht. Schick mir doch mal eine, das kauft ja sowieso keiner.“ Oder auch: „Du hör mal, ich habe mir gestern deine Platte gekauft.“ Antwort: „Ach du warst das …“ (lacht).

Für Sie gilt das ja längst nicht mehr. Ihr Balladenalbum „Love“ von 1998 etwa hat sich als Dauerbrenner entpuppt und verkauft sich bis heute ganz ansehlich …

Ich erhalte heute noch mehr Reaktionen auf dieses „Love“-Album als auf alles andere, was ich danach gemacht habe. Das Album wird häufig verschenkt und aus den unterschiedlichsten Gründen geschätzt. Da gab es frisch gebackene Mütter, die sich kaum getraut haben, mir zu sagen, dass ihr Kind so gut zu meiner Musik einschlafen kann (lacht). So etwas finde ich sehr sympathisch, ich empfinde es als Kompliment.

Was hat Sie dazu bewogen, auf Ihrem neuen Album HipHop-Beats, Samples und Scratches einfließen zu lassen?

Mich hat vor allem beschäftigt, welcher Musikstil oder welche Musikelemente aus den letzten 20, 30 Jahren auch heute noch als zeitlos verstanden werden können.

Mit „Midnight“ habe ich vor einigen Jahren ein Album gemacht, dass ich mir bereits ein Jahr nach seiner Veröffentlichung nicht mehr anhören konnte: Die Performance war zwar okay, aber die Produktion klang schon nach einem Jahr ziemlich veraltet, und auch die Musik selber war irgendwie zu „Mucker“-mäßig. In weiten Teilen war das einfach eher eine Musik für Musiker als Musik für jemanden, der einfach nur schöne Musik hören will.

Deshalb habe ich mir überlegt: wenn die Zeit so unglaublich schnell voranschreitet, aber so etwas wie Kenny Dorham oder Miles Davis immer noch zeitlos daher kommt, was ist denn eigentlich zeitlos? Beim HipHop bin ich auf etwas gestoßen, was auch noch richtig verwandt ist mit dem Jazz. HipHop kann, so wie die Beats um die Ecke kommen, auch sehr gut swingen. Nicht umsonst hat sich beispielweise Guru für seine Jazzmatazz-Alben überlegt, unter anderem all diese Jazzer einzuladen. HipHop hat sich sehr harmonisch zwischen dauerhaften Musikrichtungen eingefügt.

Das wollte ich in ein Projekt münden lassen, bei dem zumindest die Möglichkeit besteht, dass man das in einem Jahr auch noch hören möchte, und ohne dieses kleine Lächeln auf den Lippen wie: „Hoppla. Stimmt, so hat man das damals gemacht.“

Was hat es mit dem Titel, „Blue Eyed Soul“, auf sich?

In den USA ist „Blue Eyed Soul“ ein feststehender Begriff. Schwarze gebrauchen ihn ironisch, wenn Weiße sich an Soulmusik heranwagen. Die Musik von George Michael gilt beispielsweise, da er häufig mit Soul-Elementen arbeitet, als „Blue Eyed Soul“.

Diese Musik hat sich aber, auch wenn sie anfangs belächelt wurde und trotz der afroamerikanischen Opposition, als durchsetzungsfähig erwiesen: Ähnlich wie Dixieland, bei dem es sich ja letztlich um weißen Jazz handelt.

Heutzutage ist der Begriff „Blue Eyed Soul“ nicht zwingend negativ besetzt. Als Weißer daherzukommen und sein Album so zu nennen, fand ich darum okay.