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Osttimor wählt seinen ersten eigenen Präsidenten

Xanana Gusmão wird am Sonntag zu Osttimors erstem Präsidenten gewählt – fünf Wochen vor der endgültigen Unabhängigkeit der Inselhälfte

DILI taz ■ In dem abgelegenen Bergdorf Tumin in der osttimoresischen Enklave Oecussi warten 2.000 Menschen auf die Ankunft ihres Helden. Während vor der Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung im vergangenen August Verwirrung herrschte, sind sich die Osttimoresen jetzt bewusst, dass sie am Sonntag endlich ihren Präsidenten wählen. Die Stammesführer haben traditionellen Silberschmuck angelegt und tanzen Macheten schwingend zu den Trommelklängen der Dorffrauen. Ein Raunen geht durch die Menge, als der Erwartete endlich nach Stunden eintrifft: „Viva Xanana Gusmão“, ruft die Menge. Der Dorfvorsteher bindet Gusmão ein traditionelles Tuch um, junge Mädchen werfen Blüten auf sein Haupt.

Dem charismatischen 55-jährigen Exguerillakämpfer ist es sichtlich peinlich, vom Empfangskomitee auf einem eigens angefertigten Thron vor die Dorfkapelle getragen zu werden. In seiner anschließenden Rede lauten die Schlagworte Demokratie, Stabilität, Entwicklung, nationale Einheit und Versöhnung. „Wählt mich nicht, wenn ihr einen Präsidenten wollt, der nur isst, schläft und ansonsten nichts tut, aber dafür bezahlt wird“, fordert Gusmão.

Genau dies könnte jedoch das Schicksal des künftigen Präsidenten sein, fürchtet Gusmãos Wahlkampfmanagerin Milena Pires. Denn die im März verabschiedete Verfassung sieht mit Ausnahme des Vetorechts nur eine eher schwache Rolle für das Staatsoberhaupts vor. Die politische Macht hat die Partei Fretelin, die mit 55 von 88 Sitzen eine starke Mehrheit in der verfassungsgebenden Versammlung hat und das Interimskabinett des unbeliebten Chefministers Mari Alkatiri dominiert. Mit der Übergabe aller Regierungsposten der seit dem Abzug der Indonesier im Oktober 1999 amtierenden UN-Regierung (Untaet) an einheimische Politiker und damit der lang ersehnten Unabhängigkeit Osttimors am 20. Mai dürfte Alkatiri erster Premierminister werden. Dann wird er mächtiger sein als der Präsident.

Die Differenzen zwischen Gusmãos Lager und der Fretelin, der er einst selbst angehörte, sind längst kein Geheimnis mehr. Viele Osttimoresen fühlen sich von der einstigen linken Unabhängigkeitsbewegung Fretelin vernachlässigt und betrogen. Gusmão will ein demokratisches Gegengewicht zur dominanten Fretelin bilden. Obwohl er von 9 der insgesamt 16 Parteien als Präsidentschaftskandidat nominiert wurde, betont er seine parteiliche Unabhängigkeit. Gusmão sagt, er wolle sich nicht instrumentalisieren lassen und Sprachrohr aller Osttimoresen sein, vor allem aber der einfachen Landbevölkerung. Seine Gegner werfen ihm vor, sich wie eine Primadonna aufzuführen. Mit T-Shirt, Safarihose und Turnschuhen wirkt er aber weder primadonnenhaft noch wie das künftige Oberhaupt des jüngsten Staats der Welt. Vielmehr wirkt er wie einer von denen, zu denen er spricht, und einer der weiß, wovon er spricht.

Diesen Eindruck vermittelt sein einziger Gegenkandidat Francisco Xavier do Amaral nicht. In der Distrikthauptstadt Ainaro, fünf Autostunden von Dili entfernt im zentralen Bergmassiv, steigt der zerbrechlich wirkende alte Mann von einem Leibwächter gestützt aus einem Geländewagen. Von einem Schirm vor der Sonne geschützt winkt er mit zitternder Hand den 300 Anwesenden zu.

Vor 27 Jahren, in den 9 wirren Tagen zwischen der überstürzten Proklamation eines unabhängigen Osttimor und der drohenden indonesischen Invasion, war Amaral bereits einmal Präsident der Inselhälfte. Kurz nach dem indonesischen Einmarsch am 7. Dezember 1975 verwarf er sich mit der Fretelin. Zwei Jahre später wurde er nach Indonesien deportiert, hielt sich Ende der 90er-Jahre kurz in Portugal auf, und kehrte vor einem Jahr nach Osttimor zurück. Er reanimierte die sozialdemokratische ASDT, aus der 1974 die Fretelin entstand, machte sie zu seinem politischen Vehikel und wurde außer von ihr nur noch von einer weiteren Partei als Präsidentschaftskandidat nominiert. „Es wäre ein Disaster, würde Amaral gewählt“, sagt Eusebio Guterres von der vielversprechenden jungen demokratischen Partei: „Nicht so sehr seiner selbst wegen, sondern weil die von Korruption durchzogene Fretelin versuchen würde, ihn für ihre politischen Manöver zu opfern.“

In Ainaro wirkt Amaral apathisch, redet mehr von der Vergangenheit als von der Zukunft und verspricht das „Haus von Korruption, Krankheiten und Analphabeten zu säubern“. Sein Leibwächter Jesus Tamba meint: „Er weiß, dass er verliert. Aber er ist ein aufrechter Mann.“

Es ist es in der Tat beachtlich, dass der schwerkranke Amaral die Strapazen des Wahlkampfs auf sich nimmt. Denn der Sieger der von der UNO durchgeführten und von zahlreichen Gruppen überwachten Wahl steht nach Meinung aller schon fest: Xanana Gusmão. JÖRG MEIER

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