: Am Abgrund angekommen
■ Tariferstattung künftig unerlässlich: Thalia Theater befürchtet rote Zahlen
„Wenn die Stadt in der kommenden Spielzeit die Tariferhöhungen nicht auffängt, wird eine Arbeit in der bisherigen Form nicht mehr möglich sein.“ Klare Worte fand bei der Spielplan-Präsentation am Freitag Ludwig von Otting, kaufmännischer Geschäftsführer des Thalia-Theaters, zur Situation des Hauses. „Wir stehen am Abgrund“, sagt er über die finanzielle Situation des Staatstheaters, das bislang alle Verluste, die durch die seit 1993 eingefrorenen Zuschüsse entstanden, stillschweigend aufgefangen hat. „ Wir befinden uns im dritten Jahr des Geltungsbereichs der Zuwendungsgarantie, die gleich bleibende Zuschüsse für die Theater vorsah. Und niemand weiß, was künftig passiert.“
Die Befürchtungen von Ottings und des Intendanten Ulrich Khuon, dessen Spielplan sowohl in Hamburg als auch bundesweit und international stetig an Anerkennung gewinnt, sind berechtigt: Abgesehen davon, dass Kultursenatorin Dana Horáková bereits im jüngsten Kulturausschuss anklingen ließ, dass der Kulturetat eventuell weiter reduziert werde, wird auch in Theaterkreisen gemunkelt, dass die Staatstheater „weitere deutliche Einsparungen werden hinnehmen müssen“, so von Otting. Es gebe keine verbindliche Meinungsäußerung des neuen Senats zur Hamburger Kulturlandschaft – „und wir wissen nicht, wie der neue Senat zur Zusage der Vorgängerregierung steht, alle Tarifsteigerungen, die über zwei Prozent hinausgehen – wir erwarten drei bis vier Prozent – draufzulegen“. Eine Haltung also, die ähnlich vage ist wie die etlicher Figuren von Stücken der nächsten Spielzeit: Nicht nur Lessings Miss Sara Sampson präsentiert einen entscheidungsneurotischen Protagonisten. Auch Ibsens Nora unterscheidet nicht zwischen Erwartung und Realität. Den schönen Schein des Selbstbetrugs führt Millers Tod eines Handlungsreisenden vor, in Szene gesetzt von Michael Talke, der in der Spielzeit 2000/2001 karg und konzentriert Das Kind des Norwegers Jon Fosse in Szene setzte.
Schnitzlers Liebelei wird Michael Thalheimer allen eventuellen Geschwätzes entblättern, zum bundesweiten Shooting-Star mutiert durch seine am Thalia erarbeitete Liliom-Inszenierung. Die Kühle zeitgenössischer Monologe durchzieht dagegen die Stücke der Nachwuchsautorin Gesine Danckwart, deren Stücke bereits mehrfach am Thalia gespielt wurden und deren Meinnicht im Oktober diesen Jahres Premiere hat. Auch Armin Petras präsentiert sich wieder – in der Inszenierung des Fritz-Kater-Stückes Zeit zu lieben Zeit zu sterben über Jugendprobleme in der Ex-DDR.
Was noch zu sezieren bleibt: Vielleicht Shakespeares Macbeth, den Oberspielleiter Andreas Kriegenburg neu belebt. Khuon: „Ein Stück, dessen Protagonist untauglich schnell agiert und verheerende Folgen für sich und die Welt, für die er steht, erzeugt.“ Ein Verhaltensmuster, das man fast auf die heutige Zeit beziehen könnte.
Petra Schellen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen