piwik no script img

peter ahrens über ProvinzSo klein mit Hut, ihr Kackvögel

In Paderborn fragten mich Mitschüler, ob ich wirklich Kommunist sei. Schließlich wählten meine Eltern doch SPD

Als in meinem Fernsehapparat ein dicklicher Techno-HipHop-Rapper mit fusseligem Kinnbartansatz und dem angemessen bescheuerten Namen Pink Coffee (oder hieß er Rezzo Schlauch?) ein Wummern über Pink Floyds „Another Brick in the Wall“ legte und mir dabei zwei ausgestreckte Finger seiner reich beringten Hand entgegenhielt, fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert. An meinen Sportpädagogen, der das Wort von der Lehrmittelfreiheit relativ weit interpretierte und in den Sportstunden gern mit Medizinbällen auf die Köpfe unbotmäßiger Schüler zielte. Was insofern eine fortschrittlichere Methodik gegenüber unserem Kunstunterricht bedeutete, als dort noch nach altväterlicher Sitte mit Schlüsselbunden nach den Eleven geworfen wurde. Es waren halt die wilden 70er-Jahre in Paderborn.

Pink Floyd spendete nachmittags begrenzten Trost, bevor es im nächsten Morgengrauen wieder zurück ins altsprachlich-humanistische Gymnasium ging. Wobei die Herkunft des zweiten Wortteils zuweilen unerschlossen blieb, wenn Sextaner an roten Ohren gezogen wurden oder ihnen in beeindruckender Phonstärke verdeutlicht wurde, dass der Erziehungsberechtigte vorhabe, sie in Bälde „so klein mit Hut zu machen“ und dazu eine möglichst geringe Spanne zwischen zwei Fingern demonstriert wurde. Auch mussten wir erst lernen, dass die Anrede „ihr Kackvögel“ oder die Bemerkung gegenüber einem leicht lernbehinderten Mitschüler, „Stefan, ich weiß ja, dass du auf dem Weg zu einem jungen Mann bist. Aber musst du das ausgerechnet mit dem Umweg über das Tier machen?“, unabdingbar Teil humanistisch-altsprachlicher Herzensbildung sein muss, um gerade, klare Menschen zu formen.

Es war die Zeit des hübschen Brauchtums, die eigenen Schultornister, die im Jargon gerne Tonne genannt wurden, mit Sinnsprüchen und Slogans zu verzieren. Ich weiß gar nicht, ob das heute noch gemacht wird. Neben „Killroy was here“, wobei mir nie klar wurde, wer dieser Herr Killroy nun war und wo er sich aufgehalten hat, war „Teachers, leave us kids alone“ sehr beliebt. Ein Satz, den wir aber lieber in die Innenseiten der Tornister geschrieben hatten, da, wo immer die Reste der Bananen klebten, die man morgens als Pausenmahlzeit eingesteckt bekam und anschließend versehentlich vom Diercke Weltatlas zu Brei zermatscht wurden. Für Sprüche wie den Pink-Floyd-Refrain oder später „Petting statt Pershing“ waren die Innenseiten der Schulmappen nicht nur atomwaffenfreie, sondern auch die sicherere Zone, um die Schlüsselbund-Flugdichte nicht zu sehr in die Höhe zu treiben.

Höchstens im Flüsterton wurde in den Pausen die Geschichte der Gerti Schanderl aus Bayern kolportiert, der ein „Stoppt Strauß“-Aufkleber auf dem Tornister den Schulverweis eingebracht hatte. So etwas war am altsprachlich-humanistischen Gymnasium nicht zu befürchten – also dass solche Aufkleber auftauchten. Dafür sorgte schon der Schulleiter, der gleichzeitig für die CDU im Stadtrat saß und sich mit seiner Partei anrührend darum gekümmert hatte, dass Franz Josef Strauß für seinen Kanzler-Wahlkampfauftritt den Rathausplatz freigesperrt bekam, auf dem dann zehntausend kreuzbrave Westfalen jubelten, als Strauß und der Paderborner Bundestagsabgeordnete Rainer Barzel dem amtierenden Macher Helmut Schmidt hinterherhöhnten: „Lasst ihn doch segeln, den Mann.“

Schmidt war kurz zuvor beim Segeln in den Brahmsee gefallen, wie die Heimatzeitung und anschließend auch mein Deutschlehrer genüsslich aufspießten. Es war die Zeit, wo man von Mitschülern in einem Tonfall, in dem sich Bedauern und Verachtung die Waage hielten, gefragt wurde, ob man immer noch Kommunist sei, weil man mal den Fehler gemacht hatte zu erwähnen, dass die Eltern SPD gewählt hatten, also quasi mit dem Terrorismus liebäugelten. Es war die Zeit, gar noch ein paar Jahre später, in der ein Abiturjahrgang den Fehler machte, ein Kondom auf dem Titelblatt seiner Abizeitung zu veröffentlichen. Besagter Schulleiter war glücklicherweise fürsorglich genug, das Verteilen der Zeitung nur für den Fall zu gestatten, dass auf allen 2.000 Exemplaren das Kondom mit einem roten Zettel überklebt wurde.

Heute ist das natürlich in dieser Stadt alles ganz anders, wie ein kundiger paderstädtischer Leser dieser Zeitung nach der Lektüre der vergangenen Provinzkolumne nicht zu bemerken und aufzuschreiben verabsäumte. Verbunden mit dem kleinen Hinweis, dass „ein Bericht über die Fakten des heutigen Paderborns so manche Klischees von dieser Stadt heilsam durcheinander bringen und damit zusätzliches Interesse bei der Leserschaft wecken könnte. Nur als ein kleiner Tipp zur Auflagensteigerung.“

Das fand ich hübsch.

Fragen zur Provinz?kolumne@taz.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen