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Auch Tunis denkt nun an Anschlag

Fünf Tage nach der Explosion in Djerba hält auch die tunesische Regierung nun einen Anschlag für möglich. Kritik an tunesischem Botschafter in Berlin. Mehrere Opfer in deutschen Krankenhäusern schweben weiterhin in Lebensgefahr

von REINER WANDLER und LUKAS WALLRAFF

Auch die tunesische Regierung schließt jetzt nicht mehr aus, dass die Explosion an der Synagoge auf Djerba am vergangenen Donnerstag ein Anschlag war. Nach einem Bekennerschreiben arabischer Extremisten und neuen Erkenntnissen über den Fahrer des explodierten Lastwagens scheint Tunesiens Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali zu dem Entschluss gekommen zu sein, dass sich die bisher verkündete Unfallversion kaum noch aufrecht erhalten lässt.

Nach Angaben der französischen Tageszeitung Libération teilte Ben Ali der französischen und der deutschen Regierung mit, es könne sich doch um ein Attentat gehandelt haben. Offenbar hält die tunesische Regierung jetzt sogar weitere Anschläge für möglich: Dafür spricht die Meldung, wonach selbst vor einer leer stehenden Synagoge in La Marsa bei Tunis die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt wurden.

Die Behörden in Tunis erklärten, sie würden bei der Aufklärung der Explosion von Djerba eng mit der Polizei in Frankreich und Deutschland zusammenarbeiten. Der tunesische Botschafter in Berlin hielt jedoch seine Zusage, zu der gestrigen Sitzung des Tourismus-Ausschusses des Bundestages zu erscheinen, nicht ein. Der Ausschussvorsitzende Ernst Hinsken (CSU) zeigte sich darüber verärgert und kündigte einen Beschwerdebrief an.

In einem offiziellen Kommuniqué der tunesischen Regierung heißt es, bei den Untersuchungen würden „keine Hypothesen ausgeschlossen“. Möglicherweise stehe die Explosion in Djerba im Zusammenhang mit den jüngsten Anschlägen gegen jüdische Einrichtungen in Frankreich. Das angebliche Bekennerschreiben in der arabischen Zeitung Al-Quds Al-Arabi bezeichnete die tunesische Regierung als „wenig glaubwürdig“.

Die in London erscheinende Tageszeitung hatte eine Erklärung eines „Kommandos der islamischen Armee zur Befreiung der Heiligen Stätten“ veröffentlicht, das laut Al-Quds-Al-Arabi zum Netzwerk al-Qaida von Scheich Ussama Bin Laden gehören soll. Darin wird die tödliche Explosion als „Antwort auf die israelischen Verbrechen gegen das palästinensische Volk im Westjordanland und Gaza“ bezeichnet. Der Anschlag in Djerba sei „außerdem die Antwort auf die Weigerung der arabischen Regierungen, ihren Völkern zu erlauben, den heiligen Krieg gegen die Juden zu führen“. Der Tunesier Nizar Ben Mohamed Nawar alias Saif al-Dine al-Tounsi habe als „Märtyrer“ die „Selbstmordoperation“ durchgeführt. Al-Quds-Al-Arabi veröffentlichte außerdem das „Testament“ des angeblichen Attentäters. Darin fordert er seine Familie auf, ebenfalls „als Märtyrer zu sterben“. Die Redaktion der Zeitung schweigt sich darüber aus, wie sie an die beiden Schreiben gekommen ist.

Der Bekennerbrief ging auch der ebenfalls in London erscheinenden arabischsprachigen Zeitung Al-Hayat zu. Die Erklärung sei auf einem Briefpapier der Terrororganisation Bin Ladens geschrieben und an ihre Redaktion in Pakistan gefaxt worden.

Bei der Explosion des mit Flüssiggas beladenen Lastwagens waren mindestens 16 Menschen getötet worden, darunter zehn deutsche Touristen. Mehrere Opfer schwebten gestern weiter in Lebensgefahr. Das Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn meldete, drei Patienten befänden sich in lebensbedrohlichem Zustand. Es sei nicht zu sagen, welche Überlebenschancen sie hätten. Aus dem Universitätskrankenhaus Lübeck heißt es, einige der Patienten befänden sich in kritischem Zustand: „Es kann sich jederzeit in die eine oder andere Richtung entwickeln.“ Die Sprecherin des Krankenhauses Boberg bei Hamburg sagte, die Lage eines 16-jährigen Jungen aus Lübeck sei weiterhin stabil: „Wir rechnen damit, dass er in acht Wochen unser Haus verlassen kann.“

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