: off-kino Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet
Als Alfred Hitchcocks „Psycho“ 1960 in die Kinos kam, fand der Film bei der seriösen Kritik kaum Anklang. Der Horrorthriller um einen in Frauenkleidern mordenden Psychopathen, der seine ausgestopfte Mutter zu Hause aufbewahrt, erschien einfach geschmacklos. Und ob man es glaubt oder nicht: Als größter Tabubruch galt damals die Großaufnahme einer Toilettenschüssel, in der Papierschnipsel weggespült werden. Hitchcock war die schlechte Presse allerdings egal, wie er in seinen Gesprächen mit François Truffaut erzählte: „Für mich lag die Hauptbefriedigung darin, dass er („Psycho“) aufs Publikum gewirkt hat, daran liegt mir am meisten. Worauf es mir ankam, war, durch eine Anordnung von Filmstücken, Fotografie, Ton, lauter technische Sachen, das Publikum zum Schreien zu bringen.“ Neben den ausgeklügelten Spannungsmomenten nach dem klassischen Suspense-Prinzip (die Zuschauer wissen mehr als die agierenden Personen), sind es vor allem verschiedene Leitmotive, die zur irritierenden Stimmung des Films beitragen. Ein durchgehendes visuelles Motiv ist die Kombination von waagerechten und senkrechten Objekten: vom Vorspann (Saul Bass) mit seinen horizontalen und vertikalen Linien bis zur Architektur von Norman Bates’ Haus, das steil in den Himmel ragt („kalifornische Gotik“), und den Motelgebäuden, die sich flach neben dem Haus hinziehen.
Ein weiteres wichtiges Thema des Films ist das Beobachten und Beobachtetwerden: Bereits in der ersten Szene dringt die Kamera von außen in das Hotelzimmer ein und belauscht Marion (Janet Leigh) und Sam (John Gavin) beim Tête-à-tête – der Zuschauer wird zum Voyeur. Norman Bates schaut hingegen Marion durch ein Loch in der Wand beim Ausziehen zu und wird seinerseits dabei von ausgestopften Vögeln mit starren Augen überwacht. Normans Voyeurismus führt schließlich zu der unvorstellbaren Gewalttätigkeit des Mordes unter der Dusche, Hitchcocks technischem Kabinettstückchen, das den Zuschauern so nachhaltig in Erinnerung blieb: Da bekam Hitchcock Post von einem Mann, der berichtete, dass seine Tochter nach dem Ansehen von Clouzots Film „Die Teuflischen“ nicht mehr baden und nach „Psycho“ nun auch nicht mehr duschen wolle. Hitchcock ließ ihm mitteilen: „Have her dry-cleaned“ – geben Sie sie in die Reinigung.
„Psycho“ (OF), 18. 4., 20. 4. im Filmkunsthaus Babylon 2
Der mit Kosten von über achteinhalb Millionen Reichsmark teuerste deutsche Film entstand im Dienste der Propaganda. 1943 beauftragte Joseph Goebbels den Regisseur Veit Harlan mit der Herstellung des Historien- und Durchhaltefilms „Kolberg“, der das vom Krieg gebeutelte deutsche Volk für die Idee des so genannten Volkssturms begeistern sollte: Einige Dialogpassagen des Generals Gneisenau (Horst Caspar), der als Kommandant der von napoleonischen Truppen belagerten Festungsstadt für die Idee eines Bürgerheeres eintritt, entsprechen fast wörtlich den Reden des Propagandaministers. Einen „Erfolg“ konnte der an die Opferbereitschaft der Bevölkerung appellierende Film allerdings nicht verbuchen: Als „Kolberg“ im Januar 1945 zur Uraufführung gelangte, gab es im zerbombten Deutschland kaum noch Kinos, die das pathetische Schlachtengemälde hätten zeigen können.
„Kolberg“, 22. 4. im Arsenal 2
***Das Lichtblick-Kino zeigt unterdessen eine Filmreihe mit den Spätwerken Luis Buñuels, der hier erfolgreich an seine surrealistischen Anfänge anknüpfte. In „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (1972) demontiert der Regisseur ein vom Bürgertum besonders gepflegtes Ritual: das abendliche Dinner, bei dem die Protagonisten durch allerlei haarsträubende Ereignisse immer wieder gestört werden. Die locker miteinander verbundenen Episoden von „Das Gespenst der Freiheit“ (1974) verkehren sämtliche Konventionen in ihr Gegenteil (eine Abendgesellschaft sitzt beim gemeinsamen Scheißen), derweil die Literaturverfilmung „Dieses obskure Objekt der Begierde“ (1977) noch einmal das Thema der Amour fou verhandelt: ein absurdes erotisches Spiel zwischen Verlockung und Verweigerung, in dem die weibliche Hauptrolle abwechselnd von zwei Schauspielerinnen gespielt wird.
„Das Gespenst der Freiheit“, 18. 4, 20. 4.–24. 4.; „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ 20. 4.–24. 4.; „Dieses obskure Objekt der Begierde“ 20. 4., 22. 4.–24. 4. im Lichtblick
LARS PENNING
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