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Weil es im Drehbuch steht

„Panic Room“, der neue Film von David Fincher, ist ein gut gemachter Thriller. Die Kamera ist so agil, dass sie einem bösen Geist gleicht. Mühelos fährt sie durch Wände und Decken, während sich die Figuren daran aufreiben. Doch kann der Film halten, was „SE7EN“ und „Fight Club“ versprechen?

von CRISTINA NORD

Es zeichnet David Finchers Filme aus, dass an ihrem Ende eine unerwartete Volte steht, dass sie eine Täuschung aufdecken, der die Figuren und mit ihnen die Zuschauer aufgesessen sind. Ob es – wie in „SE7EN“ („Sieben“, 1995) – die Erkenntnis der Polizisten ist, dass sie den Serienmörder weniger verfolgten, als Teil seines Plans waren, ob es – wie in „Fight Club“ (1999) – die Einsicht ist, dass die das Böse verkörpernde Figur ein abgespaltener Teil der eigenen Perönlichkeit ist: Beruhigen kann der Augenblick der Aufdeckung nicht. Fincher kündigt auf, was wir voraussetzen – dass wir einen Film sehen, in dem, was geschieht, auf der Ebene des Films tatsächlich geschieht –, indem er mindestens zwei Ebenen in seine Filme einzieht. Die Irritation hierüber wirkt über den Abspann hinaus.

So war es bisher, von Film zu Film in je unterschiedlicher Ausprägung. Mit „Panic Room“ betritt der Regisseur neues Terrain. Er spielt nicht mit der Konvention des Genres, sondern hält sich daran. Die düstere Wucht, mit der er „SE7EN“ und „Fight Club“ auflud, fehlt dem neuen Film. Er schickt sich nicht an, zeitdiagnostischer Kommentar zu sein – weder auf die condition humaine am Beginn des 21. Jahrhundert noch auf eine Filmindustrie, deren wichtigste Aufgabe es ist, Glück zu verkaufen. Wenn das Ende in „SE7EN“, in „The Game“ und in „Fight Club“ vernichtend ausfällt, so stimmt es in „Panic Room“ milde. Der Film ist ein Kammerspiel, er mischt den leichten Schauer eines gotischen Ambientes mit dem Format des Thrillers. Technisch ist das ausgefeilt, etwa in den digital veredelten Kamerafahrten, die aus der Einheit des Schauplatzes ein Maximum an Schauwert herausholen. „Panic Room“ ist spannend gemacht, wenn auch insofern vorhersehbar, als Genre-Filme immer ähnlichen Mustern folgen. Getragen wird das Ganze von der Performance Jodie Fosters. Sie verkörpert Meg Altman, eine gerade geschiedene Frau, die sich nun in Manhattan ein neues Leben einrichten will. Gemeinsam mit ihrer Tochter Sarah (Kristen Stewart) bezieht sie ein vierstöckiges Anwesen in der West Side. An eines der Zimmer grenzt ein so genannter Panic Room, eine Art Bunker, in den sich zurückziehen kann, wer Einbrecher oder Kidnapper fürchtet. Fast hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt ist diese Sicherheitskammer, und Meg Altmann wird sie brauchen. Denn gleich in der ersten Nacht im neuen Zuhause kommen Einbrecher. Meg und Sarah Altman gelingt die Flucht in den Panic Room. Pech, dass sich genau darin befindet, was die Eindringlinge wollen.

„Ich habe noch nie einen Film gedreht“, sagt David Fincher, „bei dem ich die Zuschauer abhole und sie die ganze Zeit über begleite, damit gewährleistet ist, dass alle alles verstehen.“ Das sei eine große Herausforderung gewesen. David Fincher sitzt in einer Suite im vierten Stock des Hotels Four Seasons. Für einen Filmemacher, der „SE7EN“ in Dunkelheit und Regen tauchte, fällt das Interieur merkwürdig floral aus. Vielleicht ist es aber auch nur merkwürdig, von Fincher zu erwarten, dass er florale Designs verabscheue. 20 Journalisten empfängt er an diesem Dienstag vor der Berliner Premierenparty, in Dreier- oder Vierergruppen. Knapp eine halbe Stunde Zeit bleibt für die Fragen. „Um ganz aufrichtig zu sein“, hat er in einem anderen Interview einmal über diese Interviews gesagt, „es ist ein alberner Teil der Filmvermarktung.“

Den Zuschauer abholen, ihn bei seiner Reise durch den Film an der Hand nehmen: Gelungen ist das Fincher offensichtlich, führt „Panic Room“ doch die Kinocharts in den USA, seit der Film dort vor drei Wochen angelaufen ist. Aber ist das alles, was es über „Panic Room“ zu sagen gibt? Existiert nicht doch die Diskrepanz von leicht goutierbarer Oberfläche und einer zweiten Ebene, die, wenn sie die erste Ebene schon nicht als Täuschung ausweist, so doch Hinweise darauf liefert, dass man den Film diskursiv aufladen kann? Indizien für eine solche Ebene gibt es in Hülle und Fülle. „Mayflower“ etwa heißt das Unternehmen, das Meg Altman den Umzug besorgt. Der Schriftzug rückt immer wieder ins Bild, weil die Umzugskartons den ganzen Film über nicht weggeräumt werden. „Mayflower“ hieß das erste Schiff, mit dem Pilger aus dem englischen Plymouth 1620 in New England ankamen, nachdem sie zuvor Jahre auf der Flucht durch Europa gewesen waren. Viele dieser Siedler starben im ersten Winter, und dennoch reüssierten sie in ihrem Versuch, sich eine neue Heimat zu schaffen. In einer Kinematografie, die geradezu besessen ist von der Idee, dass Figuren sich eine Heimat schaffen und diese mit allen Mitteln verteidigen, muss der Schriftzug „Mayflower“ hervorstechen. Zumal in „Panic Room“, einem Film, dessen Protagonistin sich ein neues Zuhause schaffen muss.

Fincher freilich sagt: „Man liest überall ‚Mayflower‘, weil wir etwa 10.000 Pappkartons brauchten. Wir wollten dafür kein Geld ausgeben, also schlossen wir einen Vertrag über Produktplatzierung mit der Umzugsfirma Mayflower ab. Wir wollten den Lastwagen am Anfang zeigen und bekamen ihn für umsonst, weil wir hinterher die Kartons im Bild hatten.“ Man weiß nicht: Sieht er es tatsächlich so pragmatisch oder redet er nicht über die Metaebene, obwohl er sich ihrer bewusst ist? Treffen zwei nicht kompatible Sprachen aufeinander: die des Machers und die des Kritikers? Oder ist die lapidare Antwort eine der Täuschungen, die man aus Finchers Oeuvre kennt?

„Wenn man sich einem Geschichtenerzähler anvertraut, noch dazu einem, dem das Medium Film zur Verfügung steht, der also zwei Stunden lang buchstäblich alles kontrolliert, was man sieht und hört, wenn man sich also so jemandem anheim gibt, dann nur unter der Prämisse, dass es sich um eine qualifizierte Person handelt. Und es gibt vor diesem Hintergrund sicherlich das Bedürfnis, in dem Film Ideen und Sujets zu erkennen. Aber Filmemachen ist eine rein pragmatische Angelegenheit“, sagt Fincher. So hat man es mit einer doppelten Diskrepanz zu tun: hier ein Filmemacher, der herausragende, relevante Filme gedreht hat, dort das Gespräch mit ihm, das um Sachzwänge kreist. Hier ein Bedürfnis, den neuen Film in ein diskursives Feld zu weiten, dort ein gut gemachter Thriller, der diesem Bedürfnis eine Nase dreht.

Was also tun mit der Dialektik von Sicher und Unsicher, von Außen und Innen, die „Panic Room“ wie ein abstraktes Spiel gestaltet? Der Bunker, das Innerste vom Inneren, der sicherste Platz des sicheren Ortes, den das Zuhause vorstellt, wird zur Falle. Meg Altman hatte Recht, als sie am Anfang bei der Wohnungsbesichtigung die Maklerin fragt: „Haben Sie nie etwas von Poe gelesen?“ Hat sie nicht. Was bleibt, ist der Gedanke, dass die Sicherheit, die uns Hollywood für gewöhnlich anbietet, die Sicherheit des Grabes ist.

Während die Figuren an die Grenzen von Innen und Außen gebunden sind, ist die Kamera ein Flugkörper, der ohne Mühe durch Wände und Decken schwingt. Für diesen Apparat existiert nicht, was für die anderen die Welt strukturiert: das Oben, das Unten, die Begrenzung rechts, die Begrenzung links. Die Kamera ist wie ein kleiner, böser Geist, der den Dichotomien überlegen ist. Sie gefällt sich, wenn sie aus der Untersicht nach schräg oben blickt, sie gefällt sich, wenn sie das Haus zum Labyrinth macht, wenn sie die eine, entscheidende Grenze, die Stahltür zwischen dem Panic Room und dem Rest des Hauses, überwindet. Und sie gefällt sich besonders, wenn sie sich vervielfacht in den 16 Überwachungskameras, deren Bilder die in der Sicherheitskammer eingeschlossenen Protagonistinnen anschauen wie im Kino: ohne eingreifen zu können. Außerdem kann diese Kamera, was die Figuren sich wünschen: Sie vermag einzudringen, zu penetrieren, mithin eine Bewegung auszuführen, die diesen Film (und andere) beherrscht. Wenn die Einbrecher ins Haus wollen, setzt sich die Kamera mitten hinein ins Schlüsselloch. In „Fight Club“ übrigens sitzt sie im Kopf der Hauptfigur, an einem Ort, der im nächsten Augenblick von einer Kugel aus einem Pistolenlauf durchdrungen werden könnte.

An einem Punkt der Actiondramaturgie wird die Sicherheits- zur Gaskammer. Warum er diese Szene in seinen Film eingebaut habe? „Sie steht im Drehbuch“, sagt Fincher. Dass eine Gaskammer ein hochgradig mit Konnotationen aufgeladener Ort sei, habe ihn nicht weiter gekümmert? Fincher antwortet: „Die Eindringlinge müssen vorwärts kommen, damit sie sich der Aufgabe, Meg Altmans Nemesis zu sein, gewachsen fühlen. Sie können ja nicht einfach nur warten. Sonst ginge die Sonne auf, der Milchmann käme vorbei, und Burnham [einer der Eindringlinge] müsste zur Arbeit. Etwas muss geschehen, und dies war David Koepps [des Drehbuchautors] Art, die Einbrecher mit einem Plan auszustatten. Ich wüsste nicht, was man anderes tun sollte, wenn man Leute aus einem Panic Room herausholen möchte, einem Raum, der mit einer Betonschicht und Stahllagen ummantelt ist.“

Vielleicht ist es tatsächlich so einfach. Die Gaskammer, das Flüchtlingsschiff „Mayflower“, die in ihr Gegenteil umschlagende Sicherheit, die Opposition von Innen und Außen und deren permanente Überwindung durch die Kamera – all dies sind Zufälle und Sachzwänge, lose Enden, die aus „Panic Room“ herausragen, ohne dass sich ein Plan dahinter verbirgt. Was nicht heißt, dass ihre Lektüre in eine falsche Richtung wiese. Wer braucht die Intention eines Auteurs, um sich durch einen Film zu bewegen? Möglicherweise steht der Augenblick der Aufdeckung noch aus, weiß man doch nie so recht, was bei Fincher Täuschung ist. So viel indes ist klar: Finchers neues Projekt heißt „Mission Impossible 3“. Tom Cruise wird die Hauptrolle spielen, und starten soll der Film wie seine Vorgänger an einem 4. Juli.

„Panic Room“. Regie: David Fincher. Mit Jodie Foster, Forest Whitaker, Jared Leto u. a. USA 2001, 110 Min.

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