: In der Pose von Napoleon
Gelbe Taxis und andere Alltagsbeobachtungen: Am Sonntag überrascht Grant Lee Phillips, der eigentlich für ländliche Americana berühmt wurde, im Knaack mit elektronischen Experimenten und einer spacig verhallten Atmosphäre
Wenn einer seine Platte mit einem Song beginnt, in dessen Verlauf gelbe Taxis und der Union Square vorkommen, und in dessen Refrain er immer wieder „We’re off to see America“ singt, dann darf man das durchaus programmatisch verstehen. Wenn der dann noch Grant Lee Phillips heißt und früher einmal der Americana-Institution Grant Lee Buffalo vorstand, dann darf man wohl die Verwirrung, die in diesem Song eindrücklich geschildert wird, durchaus tiefer interpretieren als die simple Beschreibung des Gefühls, das einen befällt, wenn man gerade in New York City angekommen ist.
Tatsächlich nimmt Phillips auf „Mobilize“, seinem aktuellen Album, eine zwar nicht komplette, aber doch erstaunliche Neuorientierung vor. Die Strukturen seiner Songs sind weiter traditionell, aber in der Instrumentierung hat er sich weit von den rural Sounds entfernt, mit denen es seine ehemalige Formation in den USA zu einer Bekanntheit gebracht hatte, wie sie nur wenigen Protagonisten der Americana in der Heimat vergönnt waren.
Denn selbst vor wenigen Jahren, als Bands wie Calexico oder Granfaloon Bus in Europa mittelschwere kommerzielle Erfolge feiern konnten, galten sie wenig im eigenen Lande. Anders bei Grant Lee Buffalo, die zu Beginn ihrer Karriere in Michael Stipe von R.E.M. und Bob Mould von Hüsker Dü prominente Fürsprecher und so schnell ein Auskommen fanden. Eines Tages, wettete der amerikanische Rolling Stone, werde man den Namen von Phillips in einem Atemzug mit dem von Lou Reed nennen. Musikalisch hätten Grant Lee Buffalo und die Velvet Underground zwar nichts miteinander gemein, aber der musikalische Einfluss sei vergleichbar.
Ist man eh kein Verehrer von Loud Reed, könnte man nun sagen, dass der seit dem Ende von Velvet Underground sowie nur mehr seine eigenen Standards reproduziert, während Phillips auf „Mobilize“ klingt, als wolle er sich mit aller Macht von den touristischen Klischees entfernen, dank denen die Americana vor allem auf dieser Seite des großen Teichs solchen Anklang fanden. Phillips mausert sich statt dessen eher zum klassischen Singer/Songwriter, der seine auf der akustischen Gitarre basierenden Alltagsbeobachtungen allerdings mit elektronischen Experimenten vor der musikalischen Langeweile bewahrt; sich schon mal eine spacig-verhallte Atmosphäre leistet, die man auch ironisch verstehen könnte; dann bei „April Shines“ den eigenen Song in epischer Breite und Süßlichkeit zu verlieren scheint, mit „Humankind“ aber jederzeit auch einen wundervollen Popsong aus dem Ärmel schüttelt.
In „We All Get Taste“ wiederum erinnert Phillips ganz entschieden an den mittleren, hymnischen Bowie. Auch dessen an milden Größenwahn grenzende Selbstsicherheit hat Phillips mittlerweile adaptiert. Sein erstes Solo-Album „Ladies’ Love Oracle“ ließ er nur übers Internet vertreiben. Die Platte sei „zu subtil“, um sie an eine große Plattenfirma zu verschwenden. Auf dem Cover von „Mobilize“ nun posiert er gar als Napoleon. THOMAS WINKLER
Am Sonntag, 21.3., 21 Uhr, im Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen