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Beruf: DJ

Über das Berufsbild des Plattenauflegers und dessen populäre Analogien aus Mythologie und Arbeitswelt. Ein Vorabdruck

von HANS NIESWANDT

„Der Kanzler verhunzte den Übergang zum Euro wie ein schlechter DJ! Zu lang! Zu unsauber! Zu viele Mitten!“ Süddeutsche Zeitung

Mit der Präzision eines DJs schlenzte er das Leder noch an Oliver Kahn vorbei. Am Ball hat der Mann einfach eine unglaubliche Pitch Control.“ Express

„Ohne zu murren, so stoisch, ausdauernd und würdevoll wie DJs schleppen die Sherpas die Kisten bergan.“ National Geographic

Man schreibt Angehörigen bestimmter Berufsgruppen gerne zu, ihre jeweilige Arbeit aufgrund gewisser psychologischer Prägungen gewählt zu haben. Eine mentale Tendenz, etwas, was die Menschen dazu treibt: helfende Berufe, Führungsriegen, Wissenschaft und Forschung, Kunst, usw. Und DJs? Ist DJ ein helfender oder eher ein kreativer Beruf? Oder sind DJs doch Führungskräfte? Argumente gibt es für dies, aber auch für alles andere. Gibt es vielleicht sogar eine spezifische DJ-Mentalität? Wenn ja, ist diese männlich oder weiblich geprägt? Statistisch haben wir es auf jeden Fall mit einem massiven Männer-Überhang zu tun.

Für die Minderheit weiblicher DJs stellt sich immer dasselbe Dilemma. Jeder Auftritt gerät potenziell und unvermeidlich zu einem Statement weiblicher Attitüden im Spannungsfeld zwischen Riot-Grrrl-Power und Disco-Luder. Der Prüfstein heißt nicht: Wie legt sie auf? Sondern: Wie legt sie auf, so als Frau? Manche von ihnen nennen sich DJanes, um ihre Weiblichkeit zu betonen, andere lehnen das voller Verachtung ab. Andere benutzen ein feminines „Miss“ vor dem Namen, einige kombinieren beides. Heute Abend hinter den Tellern: DJane Miss Ladypussy, damit es auch der Letzte kapiert. Und oft genug hat in Wahrheit ein Mann den Flyer getextet.

Wie auch immer: Qualität und Selbstverständnis von DJs werden, ob weiblich oder männlich, allein schon aus semantischer Hilflosigkeit meist durch Vergleiche mit anderen, traditionellen Berufen illustriert. Es gibt eine Vielzahl geradezu klassischer Klischees und Metaphern aus der Welt der Arbeit.

Die berühmteste ist natürlich der DJ als Priester. Allein schon wegen der Kanzel. Dort oben steht er und empfängt am Wochenende seine Schäfchen, die sich für diesen Anlass festlich kleiden, die richtige Einstellung mitbringen und im Gegenzug nicht weniger erwarten, als inwendig geläutert in die neue Woche und den gewohnten Alltag entlassen zu werden. Dafür zieht der Priester alle Register seiner Kunst: Er predigt die reine Lehre, er führt sie zu den grünen Auen, er lässt ein Donnerwetter los. Niemand ist ohne Fehl, aber meinen Segen habt ihr.

Nicht umsonst würde das Bild des DJs als Priester schon in der ersten, noch undergroundigen Disco-Ära in New York geprägt, unsterblich gemacht durch die Figur von Larry Levan. In seiner Kirche, der Paradise Garage, empfing er ab Mitte der 70er die Gläubigen zur Samstagsmesse, von zwölf Uhr nachts bis in den Sonntagnachmittag hinein. Alkohol war (im Gegensatz zu Drogen) tabu, Levan berauschte seine vornehmlich schwulen Jünger mit den Klängen des besten Sound-Systems der Stadt, das er und nur er beherrschte wie eine Kirchenorgel. Er versetzte den Saal in pechschwarze Finsternis, während schwere Unwetter durch das Stereospektrum zogen. Die Auswahl der Songs spiegelte sein wildes Gefühlsleben wieder. Nach dem Ende der Paradise Garage, nach zehn Jahren Hochamt, fand Levan nie mehr einen vergleichbaren Tempel. Anfang der 90er starb er, zu jung.

Mit der Konjunktur hypnotischer, trancehafter Techno-Styles kam auch bald das grelle, plakative Bild des DJs als Schamanen oder Medizinmann auf, vielleicht am besten verkörpert von Sven Väth in den frühen 90ern, mit Ziegenbart und Hunnenzopf. Er ist Meister der Ekstase und treibt seine Tänzer streng, aber achtsam durch den endlosen Rausch wie ein Guru ins Nirvana. Und wieder heil zurück.

Vom Medizinmann ist es im Grunde nicht mehr weit bis zum DJ als ganzheitlichem Therapeuten. I got somethin for your mind, your body and your soul. Tracks werden als „heilend“ und Bässe als „balsamisch“ gepriesen. Ein ausgedehntes Dance-Ritual kann reinigend, vielleicht sogar karthartisch wirken. Druck wird abgelassen, Spannung entladen, der Kreislauf stimuliert, das alles unter umsichtiger Leitung des DJs.

Diverse Paralellen sind auch zum Auftritt von Astronauten vorhanden. Es ist ein guter Job für Leute, die sich gerne abkapseln wollen und irgendwie abgespacet sind. Bei beiden wird eine für den Laien oft undurchsichtige bis obskure Fähigkeit und Wissenschaft vermutet, was eine starke Faszination und Neugier auslöst. Beide Beschäftigungen sind auf ihre Art stylish, wobei der Style eines DJs in erster Linie sein Handwerk und nicht die Optik meint.

Eine weitere populäre Analogie ist die des Chirurgen. Vor allem in den geheimbündlerischen, fortschrittlichsten Hip-Hop- und Turntablisten-Kreisen sagt man DJs nach, die Platten „zu sezieren“, mit Fingern „wie Skalpelle“.

Darüber hinaus kann die ganze Welt der weißen Kittel herangeholt werden.

Physiker, die die Wucht eines Kicks berechnen. Ballistiker, die die Zerstörungskraft einer Bassline maximieren. Chemiker, die das Ätzen eines Sounds analysieren, die Substanzen mischen, die wiederum miteinander reagieren und Eigenschaften entwickeln.

DJs sind natürlich auch Piloten, Kapitäne und Lokführer. Alle Branchen passen, in denen einer vorn im Cockpit sitzt, mit all den Knöpfen und Reglern, von denen nur er weiß, wie sie funktionieren, während alle anderen den Trip genießen. DJs wissen, wo es langgeht, sie übernehmen die Verantwortung für die lange Reise und bringen ihre Anvertrauten mit traumwandlerischer Sicherheit ans Ziel oder auch nicht.

DJs sind wie autoritäre Psychologen, sie beeinflussen und manipulieren ihre Patienten nach Strich und Faden, und diese schreien noch nach mehr.

DJs sind aber auch wie Köche: Sie hantieren mit heißen Platten, sie kombinieren verschiedene Zutaten, sie cutten und mixen, sie kontrollieren Temperatur und Garzeit. Sie sind irgendwie rührend und viele von ihnen lassen nichts anbrennen.

Es gibt DJs, die sind wie Staatsbeamte oder Politiker oder wie der Chef der Atombehörde. Sie füllen ihren Beruf aus wie ein Amt und führen penibel Buch über ihre Plattenbestände und sie sind die reinsten Informationsmonster. Sie kennen jeden Vorgang in der internationalen wie in der lokalen Vinylwelt. Konsequenz in der Programmatik ist ihr Motto, vielleicht sogar eine harte Linie, Sorgfalt, Unerschütterlichkeit und eine gewissen protestantische Strenge, mit der die eigene Technoauffassung vertreten wird.

Eher fragwürdige, aber zumindest unter den meisten Jungs und Männern sofort begriffene Metaphern sind alle diejenigen, die mit militärischen Analogien zu tun haben. Denn auch wenn DJs eine denkbar zivile und gewiss sozialen Frieden fördernde Sache tun und auch wenn die meisten bestimmt sowieso verweigert haben, so sind sie auch allesamt Kinder der modernen Action-Welt und ihrer Einzelkämpfer.

Es gibt einen Einsatz. Man wird irgendwo ein- und wieder ausgeflogen. Näheres folgt später aus Berlin. Das schwere Marschgepäck muss gepackt werden. Da muss jedes Detail stimmen und jeder Handgriff sitzen, damit man später auf jeden Fall die Stellung halten kann in seinem Nest. Die Munitionskiste? Ist sortiert und gepackt. Auf der Kiste prangen die Insignien von Schlachten, die geschlagen wurden: Mayday II, Timeless Energy Rave … die Kleidung ist subtil, aber genau kodiert, je nach Gattung: Techno DJ, NuJazz DJ, HipHop-DJ, Dandy-DJ. Aber das kann auch Tarnung sein, Mimikry.

Denn es sind alles Spezialagenten mit Kommandoaufträgen: rein in den Laden, die Lage sondieren, Stellung beziehen, die Mission erledigen, das Haus in Grund und Boden rocken, sich zumindest wacker schlagen, anschließend Gespräche führen, über die Beute verhandeln und Rückzug ins 4-Sterne-Basislager.

Es ist kein Zufall, dass Rick Wade, amerikanischer Produzent sehr kontemplativer House-Tracks, seine Platten allen Deep House Soldiers da draußen widmet.

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