: Schule für ganz besondere Fälle
Noch gibt es kaum Ganztagsschulen in Deutschland. Pädagogen, Eltern, Arbeitgeber und die Politik setzen neuerdings auf Schule bis 16.30 Uhr. Oft haben Ganztagsschulen ein ganz eigenes pädagogisches Profil
Manchmal hat Ellen Hansen einen richtig blöden Job. Die Leiterin der Berliner Werbellinsee-Grundschule muss dann Schüler ablehnen. Kids, die gerne in ihre Schule möchten – den ganzen Tag. Die Eltern reißen sich um einen Platz an der bis 16 Uhr geöffneten Schule.
Die Grundschule arbeitet nach den pädagogischen Prinzipien von Maria Montessori: jahrgangsübergreifend, in Lernprojekten, kinderorientiert. So ist das an vielen Ganztagsschulen. Sie haben ein besonderes pädagogisches Profil. Warum das so ist? Die Schulleiter sagen durch die Bank: Wer Kinder bis in den Nachmittag hinein fordern will, braucht einen anderen Zeitrhythmus, anderes Personal und eine andere Atmosphäre. Das heißt konkret: In Ganztagsschulen weichen 45-minütige Unterrichtsportionen viel leichter übergreifenden Lernprojekten. Zum Personal gehören nicht mehr nur Lehrer, sondern Arbeitsgruppenleiter von außen und Eltern. Und Ganztagsschulen sind oft gemütlicher als andere Unterrichtsanstalten – allein schon, weil die Kinder über Mittag bleiben.
Ganztagsschulen sind seit einiger Zeit ein echter Renner. Fortschrittliche Erzieher suchen sie wegen der pädagogischen Freiräume. Eltern und Arbeitgeber wegen der Vereinbarkeit mit dem Beruf – und inzwischen auch die Politik. Nicht erst seit Pisa machen die Bundesländer Anstalten, den deutschen Sonderweg der Halbtagsschule zu verlassen. Halb Europa und die USA kennen sie – hierzulande sind von 35.000 Schulen nur 1.000 den ganzen Tag geöffnet. Auch in der DDR war die Ganztagsschule die Regel – als Schulhort.
Pädagogikfreaks verziehen beim Hort das Gesicht. Hausaufgabenbetreuung oder die Fußball-AG gilt ihnen nicht als Ganztagsschule. Deshalb wird Bayern argwöhnisch betrachtet. Die sonst so progressive CSU-Schulministerin Monika Hohlmeier setzt auf die Schmalspurvariante – also Horte, die in Gemeinderäumen untergebracht sind, sowie Hausaufgabenbetreuung.
Die echte Ganztagsschule gibt es in Bayern nur in besonderen Fällen: Sozial schwache Schüler an zehn Brennpunkten dürfen sie besuchen, ferner Leistungssportler und Blitzgymnasiasten. Und ein derzeit wichtiger Mann schickte seinen Filius auf eine Ganztagsschule: Edmund Stoiber. CHRISTIAN FÜLLER
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