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Alles in Zeitlupe

■ Im Lagerhaus gehört: Das elektro-akustische „Duo Mirror“ gestaltet eigenwillige Soundscapes

Wie macht man Zuhören? Und wie macht man es so, dass das Zuhören beim Zuhören-Machen auch noch Vergnügen bereitet? Keine leichte Aufgabe, die sich Mirror da gestellt haben. Immer wieder sind Fragen wie diese in den vergangenen Jahrzehnten Ausgangspunkt musikalischer Untersuchungen gewesen.

Von John Cage und Helmut Lachenmann etwa, aber auch von zahlreichen Musikern, die im Bereich der neueren elektro-akustischen Musik ganz vorn mit dabei sind. Zu diesen gehört auch Chris toph Heemann, neben Andrew Chalk. Zunächst mag dies verwundern, ist Klangbastler Heemann in den letzten Jahren doch auch durch Kooperationen mit dem Japaner Matami Akita alias Merzbow hervorgetreten, bei dem es – zumindest aufs erste Hören – eigentlich um Krach geht. Doch ist Krach dieser Sorte weniger als Lärm zu denken, denn als der große Antipode der Stille.

Am Ausloten der zahllosen Zwischenräume dieser Pole arbeitet sich Heemann seit ungefähr zwanzig Jahren ab, angefangen mit einem Projekt, das den wunderschönen Titel „Hirsche nicht aufs Sofa“ trug. Jetzt ist er gemeinsam mit Andrew Chalk bei „Mirror“ angekommen, einem Projekt, das die Hinwendung zu Dopplungen, Brechungen und Vexierbildern schon im Namen trägt.

Mit ungemeinem Gespür für Variante, Nuance und Subtilität geht es immer wieder um Co-Rechercheure – in diesem (Glücks)Fall eben den Sonic Youth-Neuzugang und Soundscape-Fachmann Jim O Rourke aus Chicago – erweiterte Duo zu Werke.

Es herrscht ein Montageprinzip vor, das akustische Geräuschquellen und vorgefundenes (und elektronisch gespeichertes) Klangmaterial weniger nach erzählenden dramaturgischen Gesetzen collagiert, als dass es den Rohstoff Klang an Hand spinnennetzartig gewobender grafischer Notaton und kaum minder feinsinnig gewobener Improvisationskunst beständig neu zu (re)kombinieren weiß. Während sie Filme machen, so würden sie eher in Bildern denken, denn in Handlungsabläufen. Hemann selbst hat es einmal so skizziert: „Wie einzelne Szenen das Ganze eines Films ergeben, strukturiere ich meine Arbeiten aus einzelnen Soundgruppierungen, die einer Einheit entgegenstreben“.

Dabei ist es wichtig, welchen Eindruck die einzelnen Sounds vermitteln. Es ist so, als versuchte jemand, wie ein Kollege schrieb, einem mittels Klang zu erklären, worin der Unterschied besteht zwischen dem Gehen in der Wüste und dem Treiben auf einem stehenden Gewässer. Das ist Poesie – im bes-ten Sinne des Wortes.

Tim Schomacker

Mirror & Jim O'Rourke sind am kommenden Sonnabend, 20. April, ab 21 Uhr im Lagerhaus (Kioto) wohl mehr zu hören als zu sehen.

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